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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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hätte mich dafür bezahlt. Auch wollte ich meine Maxime beibehalten, pro Stadt nur einen Mord zu begehen.
    Sein Schädel glitt nun in moderater Weise von meinem Schuh auf den Teppichboden. Einen Moment sah es aus, als bete er gen Mekka. Dann kippte der ganze Szirba zur Seite. Er würde für eine Weile Ruhe geben. Auch ich benötigte Ruhe, ließ mich aufs Bett fallen und schloss die Augen, ganz eins mit meiner Übelkeit. Dennoch schlief ich ein. Nach einer Viertelstunde erwachte ich und fühlte mich wie nach einer gelungenen Kur. Sie hatte erneut gewirkt, die Magie des kurzen Schlafs.
    Szirba war gerade dabei, wieder zu sich zu kommen. Der ideale Zustand, ihn unauffällig aus dem Haus zu befördern. Ich nahm die Pistole, die noch immer auf dem Glastisch lag, und steckte sie in die übergroße Innentasche meines Jacketts. Übergroß nur deshalb, um dort Bücher deponieren zu können. Es war das erste Mal, dass ich ein solches Gerät am Körper trug. Ein unangenehmes Gefühl. Gerade so, als richtete man eine Waffe gegen sich selbst.
    Ich griff dem Österreicher von hinten unter die Achseln, zog ihn nach oben und legte seinen gesunden Arm über meine Schulter. In der Manier zweier schwer betrunkener Männer traten wir auf den Gang hinaus. Szirba war noch immer derart benommen, dass er gar nicht richtig mitbekam, was geschah. In demselben Maße war er unbeweglich und schwer wie das berühmte tote Gewicht.
    Als ich ihn zum Aufzug schleppte, öffnete sich eine Tür. Ich begann eben den Alkoholiker zu mimen, als ich erkannte, dass es sich bei der Person um jenes besoffene Mädchen handelte, von der ich zuletzt nur noch die Füße gesehen hatte. Das Geschnarche ihres ältlichen Begleiters drang für einen Moment aus dem Zimmer. Doch von ihr konnte man jetzt meinen, sie hätte ebenfalls eine Kur hinter sich. Keine Spur betrunken, schön geschminkt, das Haar frisiert, die Kleidung gerichtet. Ziemlich ausgeschlafen das Mädel, das mir und Szirba nun einen verächtlichen Blick schenkte. Sie konnte ja nicht wissen, wie ausgeschlafen ich selbst war. Sie versuchte an uns vorbeizustolzieren. Ich ließ ihr einen Meter, dann sagte ich: »Fräulein.«
    Natürlich wusste ich, dass es in Deutschland längst keine Fräuleins mehr gab. Aber etwas in meiner Stimme schien sie zu beeindrucken. Sie wandte sich um. Aus ihrem Gesicht war eine Maske gefallen. Das ganze Antlitz verzogen, als stecke ihr ein Bumerang in der Mundhöhle. Keine Frage, sie war eine von den teuren Prostituierten, die für Geld alles darstellen konnten: Industriellengattinnen, Töchter, Journalistinnen, auch Trunkenheit. Jetzt erkannte ich es. Sie war eine im Grunde hässliche Frau, sicher kein Mädchen. Wahrscheinlich hatte sie die dreißig bereits passiert und im Leben wohl so ziemlich alles gesehen, was einem den Magen umdrehen konnte. Aber sie wusste sich herzurichten, verstand es, das Hübschsein perfekt zu verkörpern. Sehr wahrscheinlich, dass sie nie auch nur einen Schluck Alkohol trank.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie es nötig hatte, in die Geldbörsen ihrer Freier zu greifen, aber die Art, wie sich ihre dezent lackierten Fingernägel nun im Leder der Handtasche verkrallten, signalisierte die Wahrscheinlichkeit, dass sich darin etwas befand, das nicht ihr gehörte, sondern dem Saufkopf hinter der Tür. Aber das ging mich nichts an, und das sagte ich ihr auch. Sagte ihr, dass ich in Not sei, wegen des armen Kerls an meiner Seite, der leicht in Gefahr geraten könnte. Nämlich dann, wenn er wieder zu sich kam, um sich sogleich in Dinge zu mischen, die nicht seiner Kragenweite entsprachen.
    »Mein Freund ist ein blöder Hund«, sagte ich. »Er muss bis Sonntag ruhiggestellt werden. Der gehört in ein Bett. Und dort soll er bleiben. Zu seiner eigenen Sicherheit. Sonntag darf er wieder zu sich kommen. Dann ist alles vorbei. Ich bin überzeugt, dass Sie über die Medikamente verfügen, um einen Mann ein paar Tage unter Narkose zu setzen. Also, Mademoiselle, sind Sie so freundlich und tun das für mich? Dafür will ich auch nicht wissen, was sich in Ihrer Tasche befindet.«
    Sie machte sich nicht die Mühe, die Naive zu spielen. Aber sie beschwerte sich, als würde ich sie nötigen, in ihr Heimatdorf zurückzukehren.
    »Ich verlange nicht viel«, stellte ich fest. »Das ist ein ordentliches Geschäft. Sie sollen es schließlich nicht umsonst machen.«
    »Ich bin teuer.«
    »Schon gut. Dreitausend Mark.«
    »Soll ich Ihnen sagen, wie viel ich in der Woche

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