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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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einer Kiste. Ich griff zur Seite, spürte Olga, was ich als schmerzlich empfand, weil unsere ganze Zukunft in einem Frühstück bestehen würde. Aber deshalb war ich nicht aufgewacht. Die Leuchtanzeige zeigte fünf Uhr. Ich hatte keine zwei Stunden geschlafen. Dann hörte ich es. Ich besitze ein gutes Gehör, ein selektives. Ich kann unterscheiden zwischen den Nachtgeräuschen einer Heizung und Schritten auf der Treppe. Was da an mein Ohr drang, war sicher nicht die Heizung. Jemand befand sich im Haus. Die Schritte kamen näher, aber ich lag da wie auf einer Sezierbank. Als die Tür langsam aufging, erkannte ich im schwachen Licht, das durch die großen Fenster der Gartenfront drang, eine hochgewachsene Gestalt. Dann war es wieder vollkommen dunkel. Die Person bewegte sich auf das Bett zu, auf Olgas Seite, ging in die Knie, rüttelte sie.
    »Olga, wach auf«, sagte die Stimme, die ich nicht erkannte, wahrscheinlich des Flüsterns wegen. Aber ich ahnte ohnehin, wer da am Bettrand kauerte.
    Ich vernahm Olgas Stimme: »Berthold?«
    »Ich kann dir jetzt nicht viel erklären«, sagte der Mann, der Berthold war. »Ich muss verschwinden. Es ist verrückt. Olga, glaub mir, ich bin nicht paranoid. Da sind Leute, die bringen mich um, wenn sie mich erwischen. Ich muss raus aus Stuttgart, raus aus Deutschland.«
    »Geh nach Connecticut. Ich komme irgendwann nach. Mit Geld und was wir eben brauchen.«
    Er schwieg. Ich stellte mir vor, wie überrascht er war, dass sie von Connecticut wusste.
    In sein Schweigen hinein waren erneut Schritte auf der Treppe zu hören. Eher das Getrampel von Radaubrüdern. Ich war überzeugt, dass es die beiden BMWler waren. Sie hatten mitbekommen, wie Bötsch ins eigene Haus eingedrungen war. Und empfanden dies wohl als wunderbare Gelegenheit. Sie wollten ins Zimmer stürmen, die beiden Eheleute und den Liebhaber umlegen, einen Eifersuchts- und einen Selbstmord vortäuschen und nach Hause fahren. Ich konnte also gar nicht anders, als endlich aufzustehen.
    »Köpfe runter«, flüsterte ich drängend.
    Der in der Dunkelheit und der mehrfachen Überraschung gefangene Parasitologe gab keinen Ton von sich. Auch Olga schwieg. Was sie mit ihren Köpfen taten, konnte ich nicht sagen.
    Schneller, als es meiner Art entspricht, war ich zur Tür gelangt und hatte mich seitlich an die Wand gestellt. Die Tür ging auf, und eine Hand fuhr an die Stelle, wo zu Recht ein Lichtschalter vermutet wurde. Bloß, dass ich vor selbigem stand, sodass die Hand meine Brust berührte. Genau dort fixierte ich sie mit meiner Linken, während ich gleichzeitig den rechten Arm nach oben schwang und die Rückseite meiner Faust ins Gesicht des Eindringlings schmetterte. Der Mann kam nicht mehr dazu, seine Waffe zu benutzen. Sein Kopf schnellte zurück, aber da ich ja seinen Arm hielt, riss es ihn nach vorn, und er landete im Zimmer. Leider geriet ich infolge dieser heftigen Bewegungen mit dem Rücken an den Lichtschalter. Die Deckenbeleuchtung flammte auf und offerierte dem zweiten Mann, der noch im Gang stand, einen perfekten Blick. Sein Kumpan lag regungslos am Boden. Im Bett, das sich genau gegenüber der Tür befand, hatte Olga sich aufgerichtet, während ihr Mann mit tatsächlich eingezogenem Kopf am Boden kniete. Irgendetwas lag neben Olga. Sie hatte die rechte Hand darauf gestützt. Ich konnte nicht erkennen, was es war. Über dem Bett hing ein gewaltiger barocker Spiegel, in dem ich nun mich selbst sah. Neben mir die Schwärze des Flurs, darin der zweite Mann. Er musste recht zufrieden damit sein, wie ihm hier alles auf dem Tablett serviert wurde. Sicher hatte auch er in den Spiegel gesehen. Umständlich fuhr ich mit der Hand hinter meinen Rücken und drückte den Lichtschalter. Aber der Kerl wusste ja nun, wohin er zielen musste, wollte er die Bötschs treffen.
    Viel zu spät fiel mir ein, dass sich in meinem Sakko noch immer die Pistole befand, welche ich Szirba abgenommen hatte. Doch meine Kleidungsstücke lagen irgendwo neben dem Bett. Sinnlos. Nun trieb auch noch der Schein einer Taschenlampe einen Keil in die Dunkelheit. Für einen Moment schloss ich die Augen und atmete durch. Dann ein Schuss. Als wäre damit bereits alles vorbei, ließ ich die Augen länger geschlossen, als vernünftig war. Ich dachte: Merkwürdiger Schuss, nichts stimmt. Und dann hörte ich, wie etwas die Treppe hinunterfiel gleich einer hüpfenden Glaskugel. Vermutlich die Waffe. Oder die Taschenlampe. Der Körper selbst klatschte bloß einmal auf.

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