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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Sicherheit. Nur so viel: Ich bin selbst daran interessiert, dass Ihr Gatte den Mund hält. Aber ich will ihm nichts tun. Was von den Herren dort draußen nicht behauptet werden kann.«
    »Sie sagten ›Bereinigung‹. Das klingt nach Säuberungsaktion. Nach Ausschaltung.«
    »Lassen wir das. Wenn Ihr Mann sich bei Ihnen meldet, sagen Sie ihm nur, er soll hingehen, wo niemand ihn kennt. Oder wo er nur wirkliche Freunde hat. Vielleicht nach Connecticut. Es tut mir leid, aber einen anderen Rat kann ich nicht geben.«
    »Connecticut ist eine gute Idee. Sollte ich meinen lieben guten Berthold noch einmal zu Gesicht bekommen, werde ich ihm das ausrichten.«
    Ich erhob mich, gegen die Schwere ankämpfend, die der Cognac verursacht hatte.
    »Bleiben Sie doch zum Abendessen«, schlug Frau Bötsch vor, als wäre ich ihr Steuerberater, und räumte ab.
    »Gern«, sagte ich, und das war untertrieben. Ich sank zurück in den bequemen Stuhl, schaute ihr zu, wie sie das Geschirr auf ein Tablett stellte, mir Cognac nachschenkte und aus dem Zimmer verschwand. Auch ihre Bewegungen waren praktisch, schnörkellos, erhaben, aber nicht maskulin, was ja das Gegenteil von erhaben gewesen wäre, zumindest das Gegenteil von praktisch.
    Obwohl erst ein paar Stunden auf den Beinen – oder besser, auf dem Stuhl –, packte mich die Müdigkeit. Ich war nicht einmal mehr in der Lage, nach meinem Glas zu greifen. Es war diese angenehme Müdigkeit, die kam, wenn man wirklich einmal in einem Nest lag und nicht in einem Hotelbett oder sonst wo, wo überall Unsicherheit war. Na ja, Nest ist vielleicht übertrieben. Aber es war eine wohlige Erschöpfung, die nur ganz kurz unterbrochen wurde durch den Gedanken an einen Wurm, der irgendwo unterhalb meines Schlundes saß und sich durch den Umstand angeregt fühlte, dass er einen nachrichtentechnischen Zugang zu meinem Hirn besaß. Es konnte ein guter, ein freundlicher Wurm sein. Konnte.
    Als ich erwachte, war es dunkel im Zimmer. Ich saß noch dort, wo ich eingeschlafen war. Durch die offene Flügeltür sah ich den rötlichen, feierlichen Schein von Kerzen, die im übernächsten Zimmer aufgestellt waren. Ich ließ mir ein paar Minuten Zeit, erhob mich dann aus dem Stuhl, fühlte mich…ich will nicht sagen: jugendlich, das wäre denn doch übertrieben. Ich fühlte mich besser. Trat ans Fenster und hatte wieder einmal einen herrlichen Ausblick. Beste Hanglage, klare Winternacht, das Lichtermeer wie ein buntes Gegenstück zum Sternenhimmel. Vom Mercedesstern abgesehen, der neonweiß strahlte, eigentlich unbefleckt, frei vom Farbengeschrei der Warenwelt, nicht der Stern von Bethlehem, aber vielleicht doch ein Stern der Weisen. – Was war los mit mir? Sentiment? Bloß weil zwei Zimmer weiter ein Abendessen und eine Frau warteten?
    Noch immer stand der BMW vor der Tür. Im Licht der Straßenlampe wirkte er kleiner, erträglicher, nicht wie ein Auto, sondern wie ein zur Hecke gewandelter Parkplatz. Ich sah die Glut zweier Zigaretten. Die Kerle konnten nicht wissen, wer ich war. Sicher hatten sie eine Beschreibung durchgegeben, aber das waren nicht die Leute, die einen präzisen Blick besaßen. Wahrscheinlich hielt man mich für einen Freund der Familie, der die Abwesenheit des Hausherrn ausnützen wollte. Wollte ich das nicht tatsächlich?
    Ich räusperte mich, als würde ich dadurch attraktiver, und ging hinüber. Und war überrascht, was für ein Bild an unpraktischem, aber höchst dekorativem Überfluss die praktische Frau Bötsch zustande gebracht hatte. Gewehre sah ich keine. In dem hohen, atelierartigen Raum, der auf einen Garten wies, stand zwischen Flügel und Stehlampe ein Tisch, auf dem sich eine Menge Silber, Porzellan, Glas und ein pompöses Blumengesteck drängten, aber in einer schönen und vernünftigen Ordnung. Frau Bötsch trat ein. Der ganzen Inszenierung entsprechend hatte auch sie selbst alles Praktische abgelegt und trug ein Kleid, mit dem in den Wald zu gehen sich nicht empfahl. Eher ins Konzert, oder wo man eben hingehen konnte, wenn man etwas trug, das zur Gänze aus irgendwelchen reflektierenden Blättchen bestand. Sie wirkte jetzt nicht nur elegant, sondern auch schlank, und war dank ihres Schuhwerks einen halben Kopf größer als ich, was mich mehr störte, als es mich bei Herrn Bötsch gestört hatte. Außerdem missfiel es mir, dass ich selbst schäbig wirkte, zwar mit Anzug und Krawatte ausgestattet, aber mehr wie ein Vertreter, der ich ja auch war. Ein Vertreter meiner

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