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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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von Schmarotzern studiert. Ich bitte Sie, so einer ist doch nicht gesund. Es heißt zwar, es handle sich bei Bötsch um Arbeitsüberlastung. Aber das kennt man ja. Ich versichere Ihnen, der kommt nicht mehr wieder. Seine Frau soll ihn in ein ausländisches Sanatorium gebracht haben. Schade um die Dame…«
    Borowski betrachtete verlegen seinen Salat.
    »Woher wissen Sie das?«, fragte ich.
    »Lieber Freund, das geht Sie nun wirklich nichts an.«
    »Ich meine nicht die Frau. Woher Sie wissen, dass Bötsch verrückt sein soll?«
    »Ach so. Heute Vormittag hat mich der Otto angerufen, der Herr Geislhöringer. Ein Förderer unserer Katholischen Bildungshilfe. Wir haben ein wenig geplaudert, wie wir es hin und wieder tun. Der Otto sammelt Krippen.«
    »Krippen?«
    »Der Mann arbeitet hart. Sehr hart. Da braucht man einen Ausgleich. Hin und wieder vermittle ich ihm Kontakte. Seine Sammlung ist erste Sahne. Das kann ich beurteilen.«
    »Was hat das mit Bötsch zu tun?«
    »Nichts. Irgendwann sind wir auf den Professor zu sprechen gekommen. Ich habe mich beschwert, für welchen Unsinn die Leute heutzutage Preise bekommen. Für kranke Literatur und kranke Wissenschaft. Na ja, und da hat mir der Otto erzählt, was man so redet hinter vorgehaltenen Händen, dass der Bötsch eben übergeschnappt sei.«
    Ich atmete innerlich auf. Einfach, weil ich das Beste annahm. Das Beste für Olga, und damit auch für ihren Berthold. Ich stellte mir vor, dass Köpple einen Schlussstrich unter den Fall Bötsch gezogen hatte. Sollten sie in Frieden ziehen, solange sie den Mund hielten. Geislhöringer bräuchte keinen seiner Leute hinterherzuschicken. Stattdessen hatte er seinen »Krippenfreund« Borowski angerufen und ihm das Gerücht von Bötschs psychischer Unpässlichkeit eingeflüstert. Keine Frage, Borowski beherrschte das Ausstreuen von Gerüchten. Das Gerede würde sich bald zur Gewissheit wandeln und solcherart niemand auf die Idee kommen, sich über Bötschs Verschwinden zu wundern. Auch die Universitäten nicht. Professoren kamen und gingen. Preisträger kamen und gingen. Und nicht alle meldeten sich ab.
    Ich dachte an Connecticut. Die Adresse könnte ich herausbekommen. Schließlich kannte ich Bötschs »amerikanische« Frau. Die Leute in Connecticut würden staunen, wenn er mit seiner »Neuen« daherkam, die seine Alte war. Vielleicht auch nicht. Vielleicht waren sie nicht so töricht, wie Bötsch dachte. – Natürlich würde ich dort nicht hinfahren. Ich würde der Frau meines Lebens nie wieder begegnen.
    »Ja, schade um die Frau«, sagte ich.
    »Bitte?«, fragte Borowski, als hätte ihm jemand ins Essen gegriffen.
    »Um Frauen ist es immer schade«, erklärte ich.
    Er wiegte den Kopf zweifelnd hin und her. Ob er an mir oder bloß an meiner Aussage zweifelte, war nicht zu sagen. Dann stimmte er mir zu. Prinzipiell. Also in einem katholischen Sinne.
    Ich löffelte meine Suppe aus und erhob mich. Erklärte Borowski, dass ich noch einen Termin in der Stadtbücherei hätte, was ja stimmte. Es war Viertel nach drei. Um vier wurde das Gebäude geschlossen. Und schließlich würde ich in dieser Nacht meine Birlewanger&Ruth benötigen.
    Montags wollte ich Stuttgart verlassen. Zurück nach Südafrika, um den Geburtstag meiner Schwester zu feiern. Sie ist Witwe. Eine glückliche Witwe, eine lustige Witwe, wie die meisten, die sich einer stattlichen Rente erfreuen können. Ihr Mann ist beim Tauchen ums Leben gekommen. Banaler geht es kaum. Wer stirbt nicht alles beim Tauchen. Und die Polizei denkt sich nichts dabei.
    Viertel vor vier erreichte ich die Bibliothek. Der Grauhaarige wartete bereits. Er reichte mir den Aluminiumbehälter und sagte: »Im Koffer steckt der Kern. Im Kern das Leben. Im Leben der Tod.«
    Ich drückte ihm einen orangefarbenen Umschlag in die Hand und erwiderte: »Und die Kastanien stecken im Kuvert.«
    Der Mann vertraute meinen Worten und steckte die Hülle in seine Manteltasche. Gemeinsam traten wir aus dem Gebäude, nickten uns zu und gingen auseinander.
    Vorbei an der Rückseite des Neuen Schlosses, vorbei an einem Teich, an Schwänen und Enten, vorbei an Jugendlichen, die auf dem gefrorenen Boden der Parkanlage wie Figuren in einem Buchstabenspiel standen, spazierte ich zurück zum Hotel. In meinem Zimmer inspizierte ich die Waffe, an der nichts auszusetzen war, nahm ein paar Schluck schwäbische Medizin und legte mich schlafen.
    Um zehn in der Nacht meldete sich der Wecker. Ich darf sagen, dass ich meine

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