Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Interessen.
    »Ich hätte mich umziehen sollen«, sagte ich.
    »Werden Sie nicht kindisch«, gab sie zurück, setzte sich und führte eine Zigarette an die Lippen. Und wartete. Ich hatte sie nicht für die Frau gehalten, die sich von einem Mann Feuer geben ließ. Genau genommen hatte ich sie nicht für die Frau gehalten, die rauchte. Nun, sie tat es. Weshalb ich ein Feuerzeug aus der Tasche kramte. Es gefiel mir ganz und gar nicht, dass ich nervös war. Ich verbrannte ihr die halbe Zigarette. Was sie nicht bemerken wollte. Sie nahm den guten Willen für die Tat, als wäre ich ein Zwölfjähriger. Ein Bub wie ihr Mann. Was ich nicht sein wollte. Ich riss mich zusammen, setzte mich, lobte das Gedeck, die Atmosphäre, lobte die Präsenz einer Flasche Rotwein, dessen Namen ich nicht kannte, was wohl eine Schande war, aber kein Grund zur Ehrlichkeit, und zündete mir meinerseits eine Zigarette an, ohne dabei einen Fehler zu machen.
    Wir rauchten schweigend. Es war nicht unbedingt peinlich. Angenehm war es aber auch nicht.
    Als dann eine etwa fünfzigjährige Frau einen Serviertisch hereinschob, auf dem unser Abendessen unter silbernen Hauben dampfte, und uns mit polnischem Akzent begrüßte, einige Verrichtungen vornahm und von Frau Bötsch mit einem »Danke, das Übrige mache ich selbst« entlassen wurde, war ich wieder einmal erstaunt. Schlichtweg über die Tatsache von Bediensteten mitten in Europa, noch dazu in Deutschland. Als weißer Südafrikaner aus reichem Hause war ich natürlich Dienstboten gewohnt, wofür man uns Weiße ja auf der ganzen Welt verachtet. Wenn man Deutsche reden hört, könnte man meinen, dass sie nie und nimmer Dienstboten einstellen würden. Nun, sie stellen sie ja auch nicht ein. Als würde gerade die Einstellung den Verdacht begründen, hier handle es sich um Leibeigenschaft. All die dienstbaren Frauen aus dem Süden, dem Osten und Fernost scheinen mit der jeweiligen Dame des Hauses befreundet zu sein und die Hausarbeiten aus purer Lebenslust zu tätigen – eine Lust, für die ihnen dann auch noch eine Art Taschengeld aufgedrängt wird, dazu Kuchenreste, Wurstreste, Spielzeugreste. (In einem späteren Gespräch sollte mir Szirba bestätigen, wie recht ich mit meinem Vorurteil hatte.)
    Aber was kümmerte mich Verlogenheit? Schließlich saß ich mit einer wunderbaren Frau am Tisch und hatte gute Karten. Warum gute Karten? Nun, sie schaute mich an, als hätte ich welche. Ich entkorkte den Wein mit ruhiger Hand. Nur ein klein wenig Schweiß stand auf meiner Stirn. Und es wäre in diesem Moment, da wir anstießen und auf den schönen Abend tranken, wohl ungehörig gewesen, nicht ein klein wenig zu schwitzen.
    Ich biss an dem Wein herum, als hätte ich ein Stück trockenes Brot im Mund, dann meinte ich: »Ein großartiger Jahrgang.« Ich war mir sicher, dass sie keinen schlechten ausgesucht hatte.
    Sie blickte mich an, als überlegte sie, ob sie mich für einen dummen oder einen raffinierten Menschen halten solle, lächelte dann, was alles Mögliche bedeuten konnte, und servierte mir die Suppe. Die gesamte Speisenfolge war polnisch: deftig, aber durchaus bekömmlich. Wir sprachen über alles Mögliche, aber nicht über ihren Mann, nicht über die Schwarzen, nicht über die Polen. Wir sprachen vor allem über Filme. Nur über Filme, die der eine gesehen hatte und der andere nicht. Was zu Nacherzählungen führte, an denen wir Spaß hatten. Vielleicht weil wir tranken. Vielleicht weil manchmal der Spaß kommt, gleichgültig, worüber man redet.
    Der Abend verstrich, wie wenn man einen Pinsel leicht über eine Wand streicht, ohne etwas anzumalen: ein Streichen an sich. Als ich auf die Uhr schaute, war es halb zwei. Ich zeigte mich empört, als habe jemand meine Uhr verstellt. Meine eigentliche Empörung galt der Vorstellung, dass Olga mich nun hinausbitten würde. Worum sie mich dann bat, war ein Kuss. Dabei schien sie ernsthaft beleidigt, dass sie darum bitten musste. Also legte ich meine junggesellenhafte Schüchternheit ab, stand auf, zog sie an mich und erfüllte ihre Bitte. Olga schmeckte gut, trotz des Weins und des Knoblauchs und der vielen Zigaretten. Sie schmeckte nach Jazz, Cool Jazz, verhalten, aber nicht zu verhalten, gebunden, aber nicht zu gebunden. Ich kann nichts anderes sagen, so schmeckte sie eben. Vielleicht weil ich Jazz mag.
    Sie nahm mich an der Hand und führte mich die Treppen hinauf in ihr Schlafzimmer, das ja auch das Schlafzimmer des Parasitologen war, was mir beim Anblick

Weitere Kostenlose Bücher