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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Schweiz oder auf dem Weg nach Connecticut befanden.
    »Was können wir tun?«, fragte Szirba.
    »Wir müssen in die Offensive gehen und uns eine von diesen dubiosen Figuren herauspicken. An Köpple, fürchte ich, kommen wir nicht heran. Eher kommt er an uns ran. Auch an Frau Holdenried können wir uns nicht halten, weder an das Original noch an die Fälschung. Und ihr Kommissar Remmelegg mag ein netter Kerl sein, aber ich befürchte, dass sein Job nicht darin besteht, uns zu helfen. Hm … wie wäre es mit Geislhöringer?«
    »Der Bayer?«
    »Sie sagen das in einem diskriminierenden Tonfall. Als Südafrikaner habe ich ein gutes Gehör dafür.«
    »Ich habe nichts gegen die Bayern«, behauptete Szirba. Überzeugend klang es nicht.
    »Möglich, dass Geislhöringer ein bloßer Handlanger ist«, sagte ich. »Aber vielleicht sollten wir mit ihm beginnen. Nicht in seinem Büro. Und nicht erst morgen. Sofort!«
    Natürlich stand ein solcher Mann nicht im Telefonbuch. Also rief ich Borowski an und erzählte ihm, ich hätte jemanden an der Hand, der eine Weihnachtskrippe von 1720 besitze und aufgrund eines Konkurses gezwungen sei, sie zu veräußern. Und da hätte ich an Geislhöringer gedacht. Die Angelegenheit sei ein wenig delikat, des Konkurses wegen. Und sie eile. Weshalb ich noch heute mit Geislhöringer in Kontakt treten müsse. Dumm nur, dass ich seine Privatadresse und Telefonnummer verlegt habe.
    Borowski zeigte sich begeistert. 1720? Unglaublich. Er begann über den armen Menschen zu spekulieren, der zu einem solchen Verkauf gezwungen war. Ich blieb eisern, bestand darauf, keinen Namen zu nennen. Borowski war ein wenig beleidigt, wenngleich er meine Diskretion verstand. Und auch die Notwendigkeit, Geislhöringer zu verständigen. Borowski gab mir Adresse und Handynummer durch und insistierte darauf, so bald als möglich über die Details informiert zu werden.
    Szirba wollte ein Taxi bestellen. Doch ich riet davon ab. Ab einem bestimmten Punkt der Entwicklung war es ein Risiko, sich mit der Taxizunft einzulassen. Einige dieser Leute waren der Polizei verbunden, andere der Unterwelt. Nicht wenige beiden. Wer sonst als die Gemeinschaft der Taxifahrer hatte einen derartigen Überblick, vergleichbar nur noch mit der etwas loseren Gemeinschaft der Hobbyfunker und Amateurabhörer, dieser spitzen Ohren, die unentwegt in die Stimmbänder der Stadt hineinlauschten. Trotz Szirbas schlechter Erfahrung hielt ich öffentliche Verkehrsmittel ab nun für die sichersten.
    Wir zahlten und traten in einen Tag hinaus, der schon wieder zu verblassen begann.
    »Wie wär’s, wenn Sie mir meine Pistole zurückgeben?«, fragte Szirba.
    Woher wusste er, dass ich die Waffe bei mir hatte? Eine bloße Hoffnung? Nun, es war gut möglich, dass er die Ausbuchtung in Höhe meiner Milz erkannt hatte.
    Natürlich war es riskant, einem solch labilen Menschen ein solch labiles Werkzeug anzuvertrauen. Andererseits wollte ich Szirba nicht länger bevormunden. Er hatte das Recht, die Geschichte auf seine Art zu Ende zu bringen. Und ich konnte nur hoffen, dass dieses Ende nicht auch mein eigenes bedeuten würde.
    Ich schob Szirba in eine Hofeinfahrt, holte die Waffe aus meiner Innentasche und reichte sie ihm. Ich sagte nicht »Passen Sie auf, dass sie nicht losgeht« oder »Nur im Notfall verwenden« oder ähnlich Pädagogisch-Unsinniges. Ich sagte: »Wenn Sie auf jemanden schießen wollen, müssen Sie auch auf ihn zielen.« Das vergessen Laien immer wieder.
    Er steckte die Waffe in seinen Mantel. Der Griff lugte ein wenig heraus. Weshalb er seine gesunde Hand in die Tasche schob. So würde er wenigstens keine Zeit verlieren. Er sah nun aus wie ein Mann ohne Hände, der den einen Stumpf in seine Manteltasche, den anderen in einen grünen Schal gepackt hatte.
    Problemlos erreichten wir den Marienplatz, den ich ja bereits kannte, wie auch die Zahnradbahn, in die wir nun stiegen und mit der ich genau eine Woche zuvor hinauf nach Degerloch gefahren war, zum Umtrunk der Denkmalpfleger. Jetzt aber stiegen wir nach zwei Stationen aus, machten uns kundig, auf Höhe welcher Nummer wir uns genau befanden, und gingen dann die Alte Weinsteige abwärts. Auf dem Scheitelpunkt einer scharfen Rechtskurve stand das Haus; es thronte geradezu, obwohl nicht eigentlich protzig, ein schmaler, hoher Baukörper, moderat klassizistisch, der vor Kurzem renoviert worden war. Es war die Lage, die beeindruckte. Das Gebäude wuchs förmlich aus der Kurve heraus, wies hinunter ins

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