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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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stand. Nicht unelegant stoppte er das schlitternde Objekt mit dem Fuß, hob es auf und platzierte es in der Hosentasche. Sollte es darauf ankommen, würde der Österreicher gut bewaffnet sein.
    »Otto, hör auf«, befahl Annegrete, an Geislhöringer gewandt.
    »Ich versuche, uns zu retten«, rief der Bayer.
    Holdenried schaute ihn auf eine zärtliche Weise verächtlich an. Jetzt schenkte sie auch mir einen beißenden Blick und fragte: »Warum fahren Sie nicht einfach nach Hause? Sie leben noch. Ist das nichts wert?«
    »Nun ja, ich bin neugierig. Auch Herr Szirba ist neugierig. Wir haben einiges durchgemacht. Da will man doch wissen, warum.«
    Annegrete Holdenried seufzte wie über eine Dummheit, die nicht aufzuhalten ist. Möglich, dass sie ihre eigene Dummheit meinte, von der sie nun zu berichten begann, davon, dass sie und Geislhöringer, die beiden treuesten und ehrgeizigsten Seelen an der Seite Köpples, sich ineinander verliebten. So was passiert immer wieder. Auch jenen Menschen, die sich recht gut im Griff haben und – noch immer an diesem Griff festhaltend – in der Bodenlosigkeit psychisch-biologischer Ungereimtheiten versinken.
    Die Langzeitmätresse und der verwitwete Bayer hatten sich nicht bloß in ein Abenteuer gestürzt – auch wenn dies einige Zeit ihr Motto darstellte –, sondern vernarrten sich immer mehr in die Vorstellung von dem, was sie ohnehin taten. Denn der liebende Mensch sieht sich nur allzu gern beim Lieben zu. Nicht die Handlung selbst, vielmehr die Betrachtung der Handlung entzückt ihn. Sowenig er sich vollkommen fühlt im Moment der Vereinigung, so vorbildlich erscheint ihm das Bild, das er selbst liefert, das Bild von der Vereinigung, etwa auf dem Niveau eines Bühnenbildes. Es gibt gute und schlechte Bühnenbilder. Wie es scheint, hatten Holdenried und Geislhöringer ein ganz respektables zustande gebracht. Dazu kam das alte Phänomen der Liebe: Man mag sich plötzlich selbst. Und das macht übermütig.
    »Der Max hätte das nie und nimmer geduldet«, sagte Holdenried. »Er war dreimal verheiratet. Alle drei haben ihn betrogen. Und allen dreien ist er auf die Schliche gekommen. Er hat sie gehen lassen. Aber glauben Sie mir, diese Frauen sind nicht glücklich geworden. Man kann einen Köpple nicht einfach betrügen und sich dann aus dem Staub machen. Der Mann ist nachtragend. Er hat mir das selbst sehr eindringlich geschildert. Damit ich mich auskenne. Max hat es in der Hand, jemandem Steine in den Weg zu werfen. Ohne einen Stein auch nur anzufassen. Er hat diese Frauen ruiniert. Zwei haben sich umgebracht, die dritte vegetiert in irgendeiner Trinkerheilanstalt. – Natürlich, Sie denken, ich sei nicht der Typ, der sich ruinieren lässt. Aber wie sicher ist das?«
    »Man kennt sich eben nicht wirklich«, bestätigte ich.
    »Weder wollte ich Otto aufgeben noch unsere Beziehung weiterhin verbergen. Und ich hatte keine Lust, ein Leben lang von irgendwelchen Leuten verfolgt oder belästigt zu werden, die für Köpple arbeiten. Was mir blieb, war die Möglichkeit, den Spieß umzudrehen. Max zu ruinieren.«
    »Kann man das denn?«
    »Man kann es versuchen.«
    Freilich wäre es naiv gewesen, Köpple wegen steuerlicher oder erotischer Verfehlungen einen Strick drehen zu wollen. Schließlich hatte der Mann keine Banken überfallen. Vielmehr saß er in deren Aufsichtsräten (und man musste schon wie der Punker Fisch denken, um darin keinen Unterschied zu sehen). Nein, ein Kaliber wie Köpple war nicht mit simplen Schmutzkübeln zu verunreinigen. Man wird ja auch nicht versuchen, ein Nashorn zu erledigen, indem man sich auf dessen Rücken schwingt, um sein Horn abzusägen.
    Was Annegrete in der Hand hatte, lag abseits jener Belange, die an den Stammtischen des Landes und in den Medien zur Unkenntlichkeit zerredet wurden und mehr zum Amüsement als zur sagenumwobenen Verdrossenheit beitrugen. Und was sie hatte, das hatte sie von Geislhöringer, Köpples persönlichem Sekretär, der seit Jahren damit beschäftigt war, unter Anleitung seines Chefs dessen Biografie zu schreiben. Eigentlich schrieb er an einer Bombe, welche Köpple erst nach dem eigenen Tod abgeworfen wissen wollte.
    »Köpple hat mich alles über sein Leben wissen lassen«, erklärte Geislhöringer. »Jede kleine und große Schweinerei und jede gute Tat. Dieser Mann will vollständig sein, alles Gute und alles Böse vereinen.«
    »Klassischer deutscher Größenwahn«, meldete sich jetzt der nicht ganz vorurteilsfreie

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