Der Mann, der den Regen träumt
wie eine Verwünschung, und ein Schauder überlief sie.
»Kümmer dich nicht um sie«, sagte Elsa zu Finn. »Gehen wir einfach weiter.«
Die Straße war eng und von zweistöckigen Reihenhäusern mit so weit vorspringenden Dächern gesäumt, dass es wirkte, als würden sie die Stirn runzeln. Elsa hatte diese Straße nie besonders gemocht, die so voller Kuhlen und Buckel war, dass man unmöglich sagen konnte, an welchen Stellen das Pflaster seine ursprüngliche Höhe hatte und an welchen nicht. In der Ferne erhob sich das Devil’s Diadem mit seinen schartigen Felswänden und dem gekräuselten Wolkenband um seine Spitzen und versah die Szene mit einem gezackten Hintergrund, der alles andere als eine angenehme Atmosphäre verbreitete.
Finn blickte sich um. »Da sind neun oder zehn Leute hinter uns. Sind das Freunde von dir?«
»Ich habe keine Ahnung, wer das ist. Finn, ich habe irgendwie ein schlechtes Gefühl. Können wir unsere Abschiedstour nicht doch sein lassen und zurück in deine Kate gehen?«
»Elsa, ich glaube nicht, dass wir Angst vor ihnen haben müssen.«
Die kleine Menschenmenge war noch immer außer Hörweite, doch Elsa senkte dennoch ihre Stimme zu einem Flüstern. »Du bist von einer Wolkenhülle umgeben, Finn. Höchstwahrscheinlich sind sie es, die Angst haben.«
»Na ja, wenn sie irgendwas sagen, kann ich sie ja vielleicht davon überzeugen, dass sie sich vor nichts fürchten müssen.«
Elsa seufzte. Sie blickte zu den Dächern auf, wo die Wetterfahnen alle auf den Old Colp zeigten. »Ich weiß nicht, Finn. Vielleicht bin ich ja verrückt, aber können wir nicht doch einfach machen, dass wir hier wegkommen?«
Wieder hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.
»Sie wollen mit dir reden.«
»Ist mir egal, was die wollen.«
»Okay«, sagte Finn und sie bogen in die Auger Lane ein.
Bevor sie die nächste Kreuzung erreichten, trat ihnen ein Mann in den Weg, die Hände in den Taschen vergraben. Er trug den gleichen Regenhut und -mantel wie die meisten Männer in der Stadt, doch Elsa erkannte ihn an seinem schwabbeligen Hals und dem stechenden Blick.
»Dürfte ich Sie wohl kurz aufhalten?«, fragte Sidney Moses. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
Elsa sah zu Finn hinüber. Er wirkte kein bisschen beunruhigt, obwohl – sie biss sich auf die Lippe – auf seiner Haut noch immer Nebel klebte wie staubige Spinnweben. »Wir haben es ein bisschen eilig.«
Die kleine Gruppe von Leuten holte auf. Ein oder zwei waren außer Atem, weil sie ihnen so eilig gefolgt waren. Ihre finsteren Blicke gefielen Elsa gar nicht, genauso wenig wie die Tatsache, dass sie alle in ein paar Schritten Entfernung von Finn stehen geblieben waren und nun offensichtlich auf Anweisungen von Sidney warteten.
»Haben Sie denn alle nichts Besseres zu tun?«, fragte sie.
Sidney leckte sich über die Lippen, doch er antwortete nicht gleich.
Ein Stück die Straße hinunter flatterten zwei Elstern von einem Dach auf und segelten keckernd über sie hinweg.
»Tja, die Sache ist nur die«, äußerte Sidney vorsichtig. »Sally Nairn hat etwas gesehen.«
»Er ist es, Sidney«, sagte die streng aussehende Frau mit dem Schultertuch.
»Sally meint, sie hätte so eine Art Nebel bei Ihrem Freund gesehen. Und siehe da …« Mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination betrachtete er den zarten Hauch von Dunst, der um Finn herum in der Luft hing.
Finn verschränkte die Arme. »Ich habe auch einen Namen, wissen Sie? Mit dem könnten Sie mich ansprechen, wenn Sie so höflich wären, mich danach zu fragen.«
Sidney wandte sich Finn zu. »Als Miss Beletti nach Thunderstown gekommen ist, hat es nicht lange gedauert, bis wir alle ihr Gesicht kannten. Ihres dagegen ist mir völlig unbekannt, außer vielleicht aus einer sehr alten Geschichte. Wann sind Sie hier angekommen?«
»Ich war schon immer hier.«
Elsa zuckte zusammen. »Finn, dieser Mann sucht doch nur Streit …«
»Mach dir keine Sorgen, Elsa. Sie sind bloß verwirrt wegen dem, was sie sehen.«
Sidney Moses nickte. »Und was genau sehen wir hier?«
»Ich trage ein Gewitter in mir.«
Die Leute rangen die Hände und tuschelten hektisch miteinander.
Sidney sah aus, als hätte er gerade einen versunkenen Schatz gehoben. »Und das geben Sie zu, einfach so?«
»Ich schäme mich nicht mehr für das, was ich bin. Und ich habe es satt, mich weiter in den Bergen zu verstecken. Ich stelle genauso wenig eine Gefahr dar wie jeder andere von Ihnen auch.«
Sidney plusterte
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