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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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macht?«
    »Ja, natürlich! Ich würde gerne sein Gesicht sehen, wenn er deinen Chili-Eintopf probiert! So viel Feuer wie das Zeug kann noch nicht mal ein Blitz in sich haben! Aber jetzt muss ich mich erst mal mit ihm allein treffen. Wir wollen den alten Straßen hier noch ein kleines Abschiedsküsschen geben. Die sind mir nämlich ziemlich ans Herz gewachsen, seit ich hierhergezogen bin.«
    Kenneth blieb im Garten stehen und blickte ihr nach und Elsa wünschte, sie müsste ihn nicht hier zurücklassen, obwohl sie wusste, dass das unmöglich war und er niemals mitgekommen wäre. Bevor sie in die Welcan Row einbog, drehte sie sich noch einmal um und stellte fest, dass er immer noch dort stand. Er sah älter aus denn je, trotz seines Hemds, das leuchtete wie ein bunter Obstsalat.
    Sie winkte und machte sich dann auf den Weg zur Sankt-Erasmus-Kirche, obwohl sie wusste, dass sie, in welche Richtung sie auch ging, ohnehin dort landen würde. Sie würde die verschlungenen Gässchen und verfallenen Häuser vermissen, aber sie hatte das Gefühl, dass bereits eine unsichtbare Kraft von Finn und ihr Besitz ergriffen hatte und sie an einen anderen Ort zog.
    * * *
    Finn wartete im Schatten der Kirche auf sie. Er wirkte kleiner hier unten in der Stadt und trat von einem Fuß auf den anderen, als machte ihn der Anblick so vieler Ziegelsteine nervös.
    »Die Mauern beißen schon nicht«, sagte Elsa, als sie näher kam.
    »Das ist es nicht.«
    Elsa umarmte ihn und schmiegte ihre Stirn von unten an sein Kinn, während er sie einen Moment schweigend an sich drückte. Als sie so dastanden, löste sich wieder ein Dunstschwaden von ihm, ein weißer Kranz wie ein Diadem aus Wolken, das sich über seine Haut ausbreitete, bis Finn wie von einer Patina aus Nebel überzogen war. Über ihnen strich der Wind pfeifend durch die Gewölbe der Kirche.
    »Ich war bei Daniel«, erzählte er, während Elsa ihm mit der Hand über die Wange strich, »und er war … so nett zu mir.«
    Elsa hatte Schwierigkeiten, sich das vorzustellen. »Bist du sicher, dass er nicht getrunken hatte oder so?«
    »Ja … er war nur in einer ganz seltsamen Stimmung. Er hatte vorher das halbe Haus kurz und klein geschlagen. Aber ich glaube wirklich, dass er es ernst gemeint hat – das mit dem Nettsein, meine ich. Weißt du, ich glaube, das war wirklich das erste Mal in meinem Leben, dass er ein freundliches Wort zu mir gesagt hat.«
    »Das überrascht mich nicht.«
    Finn sah nachdenklich aus. Die Sonne stand schon zu tief, um seiner Nebelaura einen silbernen Umriss zu verleihen, doch sie erfüllte sie mit einem zartrosa Schimmer, der die Konturen und Bewegungen der Wolke hervorhob. Dann erzählte Finn Elsa von dem Brief seiner Mutter und dem Geld, das Daniel ihm angeboten hatte, und während er redete, tanzten ein paar trockene Blätter um ihre Füße, bevor der Wind sie weiter über den Platz wehte.
    »Ich würde sagen, das hast du dir verdient«, sagte sie, als Finn zu Ende erzählt hatte.
    »Jedenfalls habe ich kein bisschen mit so etwas gerechnet, als ich mich auf den Weg zu ihm gemacht habe. Seitdem fühle ich mich so voller Energie. Ich war viel zu früh hier, weil ich so schnell gegangen bin. Als ich aus Daniels Haus getreten bin, hatte ich das Gefühl, dass alles neu ist. Wenn er in der Lage ist, sich so grundlegend zu ändern, dann ist vielleicht alles möglich. Es ist schwer zu erklären.«
    »Das musst du auch nicht«, erwiderte Elsa. »Du findest einfach zu dir selbst. Du gewöhnst dich an das, was du bist, was immer das sein mag. Du gewöhnst dich daran, Finn zu sein.«
    Elsa strich ihm mit der Hand über die Stirn und zwischen ihren Fingern quollen dünne Wolkenfäden hervor. Sie stand ihm gut, diese zweite Haut aus Nebel. Sie wollte ihn gerade küssen, als sie bemerkte, dass sie beobachtet wurden. Eine streng aussehende Frau mit einem Schultertuch stand in der Mitte des Platzes und huschte davon, als ihr bewusst wurde, dass sie entdeckt worden war. Beinahe im Laufschritt verschwand sie in der Feave Street.
    »Sollen wir dann unseren Abschiedsrundgang machen?«, schlug Elsa vor.
    »Ja«, antwortete Finn und sie fassten sich bei den Händen.
    Als sie die Feave Street ein Stück hinuntergelaufen waren, rief jemand hinter ihnen Elsas Namen.
    Elsa drehte sich um und sah die Frau, die sie kurz zuvor beobachtet hatte, mit einer kleinen Gruppe von Leuten, die sie in aller Eile zusammengetrommelt haben musste. Irgendwer von ihnen rief wieder und wieder ihren Namen,

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