Der Mann, der den Regen träumt
in Luft auflöst und die Sonne wieder durchbricht. Die Leute werden mich für verrückt halten, das ist mir klar, sie werden sagen, dass mich diese Verrücktheit schon mein ganzes Leben lang beeinträchtigt hat. Aber das wird mich nur noch entschlossener machen.«
»Danke. Das bedeutet mir wirklich viel.« Elsa starrte an die Decke. Sie holte tief Luft und ihre Kehle gab einen heiseren Laut von sich, wie das Krächzen einer Krähe.
Daniel legte seine langen, kräftigen Finger aneinander und presste sie sich an die Stirn, während er nachdachte.
Weit weg, auf der anderen Seite der Klostermauern, stöhnte abermals der Donner auf, doch jetzt erfüllte das Geräusch Elsa mit Schmerz. Es hatte eine Zeit gegeben, da sie den Anblick des unwirklichen Lichts, das eine sterbende Gewitterwolke mit sich brachte, genossen hatte, wenn die Sonne das Bollwerk des Gewitters bezwang und einen Regenbogen in den violetten Himmel zeichnete. Jetzt fürchtete sie dieses Schauspiel wie nichts anderes auf der Welt.
»Was, meinen Sie, wird mit ihm passieren«, flüsterte sie, »wenn der letzte Regen gefallen ist?«
Er runzelte die Stirn. »Ich hoffe, dazu wird es nicht kommen.«
»Und wenn doch?« Elsa wurde bewusst, dass sie sich, so sehr sie es auch versuchte, keine andere Möglichkeit ausmalen konnte. Sie würde hilflos in dieser Klosterzelle liegen, während der Mann, den sie liebte, sich draußen am Himmel in Regen auflöste.
»Ich habe hier Medikamente, wenn Sie möchten.« Daniel hielt eine Pillenschachtel hoch, die die Nonnen zurückgelassen hatten.
Elsa brummte zustimmend und nahm zwei Tabletten, doch sie musste immer und immer wieder schlucken, um sie durch ihre schmerzende Kehle zu zwingen.
Die Motte, die an der Decke ihre Kreise gezogen hatte, ließ sich nieder. Sie spreizte ihre Flügel und regte sich nicht mehr. Elsa folgte ihrem Beispiel und ließ ihren schweren Kopf zurück ins Kissen sinken, schloss endlich die Augen und ergab sich der Erkenntnis, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als zu lauschen. Sie registrierte jedes Murmeln von Finns Gewitter in der Ferne, jedes schwache Zischen, wenn der Blitz aufzuckte. Wie müde sie war. Oder vielleicht lag das auch an den Pillen. Sie kämpfte gegen den Schlaf an, denn sie musste wach sein, um Finn zu retten, auch wenn sie nicht wusste, wie sie das anstellen sollte. Sie glaubte, das Rauschen eines Ozeans zu hören. Sie hatte das Gefühl zu schweben, hoch oben über einem riesigen Strudel. Sie glitt in den Schlaf hinüber.
* * *
Daniel fuhr sich mit den Händen durchs Haar und stand auf. Er ging zum Fenster der Zelle und starrte hinaus in die Welt davor. Hier oben auf dem Devil’s Diadem war der Himmel klar und das Wetter ruhig. Finns Wolke über Thunderstown war die einzige am ganzen Himmel, doch sie war so grau und gewaltig wie ein fünfter Berggipfel. Die Sonne war bereits hinter dem Old Colp versunken, der Himmel im Westen aber schimmerte noch immer rot und ließ den oberen Rand der Gewitterwolke wie in Blut getunkt wirken.
Als sein Vater gestorben war, hatte sein Großvater keinerlei Bedauern gezeigt, nichts hatte darauf hingedeutet, dass er seinem Sohn gegenüber nun weniger Verachtung verspürte als zu dessen Lebzeiten. Als jedoch im selben Jahr sein Lieblingsjagdhund starb, hatte der alte Mann haltlos in sein Bierglas geschluchzt. In dieser Nacht war er weit nach Mitternacht in Daniels Schlafzimmer getaumelt, hatte das Licht eingeschaltet und sich, in einem Dunst aus Alkohol, neben seinem Enkel aufs Bett fallen lassen. »Wo immer er jetzt ist, es fühlt sich an, als hätte er jede zweite meiner Rippen mitgenommen«, hatte er gemurmelt und war im nächsten Moment eingeschlafen. Gegen drei oder vier Uhr morgens, nachdem Daniel kein Auge hatte zutun können, war die Versuchung zu groß geworden und er hatte den hageren Brustkorb seines Großvaters abgetastet, vorsichtig mit dem Zeigefinger jeden einzelnen Knochen befühlt. Alle Rippen waren noch da gewesen und Daniel hatte verwirrt und hellwach in seinem Bett gelegen, bis die Sonne die Dunkelheit vertrieb.
Er trat vom Fenster zurück und ging zur Tür, dann wieder zum Fenster und immer so weiter, hin und her über den steinernen Boden. Jetzt endlich verstand er, was der alte Mann gemeint hatte. Wenn damals schon der Tod eines verdammten Köters seinen Großvater zu solchen Empfindungen getrieben hatte, wie viel größer war dann sein eigener Schmerz über den Verlust von Finn, dieses Gefühl, als wäre sein Rumpf
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