Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
Vom Netzwerk:
Daniel deutete auf seinen Wangenknochen, »und die Stelle schwoll an. Er rannte zu den Lehrern, um ihnen den blauen Fleck zu zeigen, doch als sie genauer hinsahen, entdeckten sie, dass es etwas ganz anderes war. Es war mehr wie ein Stück von einer dunklen Wolke, das aus seiner Haut quoll. Die Lehrer waren sprachlos vor Entsetzen, sie hatten keine Ahnung, was sie da vor sich hatten. Sie brachten Finn von den anderen Kindern weg, Gott sei Dank, und irgendwann hatte die Schulkrankenschwester sich so weit beruhigt, dass sie das, was auch immer es sein mochte, wegzuwischen versuchte. Doch es half nicht; die Wolke sickerte jedes Mal erneut hervor, wie um die Stelle zu markieren, an der Finn verletzt worden war.« Daniel erschauderte und trank einen Schluck von seiner Brühe.
    »Nach diesem Vorfall konnte Finn unmöglich wieder zur Schule gehen und ich hatte meine liebe Mühe, die Lehrer davon zu überzeugen, dass sie die Sache für sich behielten. Von diesem Tag an hat Betty Finn zu Hause unterrichtet. Sie hielt ihn von anderen Kindern fern und das war auch gut so. Er war glücklich, weil er sich geborgen fühlte, und sie war glücklich, weil sie mehr Zeit mit ihm verbringen konnte. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass sein Körper randvoll mit schlechtem Wetter war. Manchmal frage ich mich … Wenn sie ihn nicht so versteckt gehalten hätte … hätte es dann womöglich Zeichen gegeben, die uns hätten ahnen lassen, zu was er fähig war? Wäre uns die Gefahr vielleicht bewusster gewesen? Aber so erwischte es uns völlig unerwartet, als es schließlich passierte. Eines Abends, als Finn sechzehn war und wir bei Betty zu Hause beim Abendessen saßen, erzählte er uns, er habe ein Mädchen kennengelernt. Er sagte, sie sei nach Thunderstown gekommen, um den Sommer dort zu verbringen, und habe ihn angesprochen, als er in Bettys Garten in der Sonne lag. Er begriff selbst nicht so recht, warum, aber er meinte, es sei ihm schwergefallen, mit ihr zu reden. Er sagte, in ihrer Gegenwart habe er das Gefühl gehabt, dass sich irgendetwas in seinem Inneren verknotete, und er sei sich nicht sicher, ob er das Gefühl angenehm gefunden habe. Betty erwiderte, er solle sich keine Sorgen machen, und sah dann mich an, damit ich ihr dabei half, ihm zu erklären, was mit einem jungen Mann passiert, wenn er erwachsen wird.« Mit einem Schnaufen lehnte sich Daniel in seinem Stuhl zurück. »Und?«, fragte Elsa, »was haben Sie ihm erzählt?«
    »Ich habe ihm gesagt, er könne sich mit diesem Mädchen nicht anfreunden, weil er und sie nicht aus demselben Material gemacht seien. Und ich habe gesagt, dieses Knotengefühl sei wie eine gefährliche Schlange, gegen die er ankämpfen müsse. Als er das hörte, zog er sich völlig in sich zurück. Betty tobte vor Wut – damit hatte ich gerechnet –, aber ich habe Finn nur gesagt, was er hören musste.« Er starrte in seine Brühe, so als wäre die Oberfläche ein Bildschirm, auf dem sich die Vergangenheit abspielte. »Dann fingen unsere Messer und Gabeln an zu vibrieren und ich spürte, wie sich jedes einzelne Härchen an meinem Körper aufrichtete. Auch Betty standen die Haare zu Berge, das konnte ich sehen. Finn schlug mit der Faust auf den Tisch und die Messer und Gabeln flogen aufeinander zu und blieben aneinander haften wie Magnete. Die Luft war plötzlich scharf wie Glasscherben. Und dann brach es aus Finn hervor, als hätte er es die ganze Zeit in sich verkorkt gehalten und nun war es auf einmal entfesselt. Er verlangte zu wissen, warum wir ihn so von allen anderen isolierten. Warum durfte er keine Freunde haben, mit Mädchen reden und mit ihnen zusammen sein? Warum hatte Betty ihn zu Hause eingesperrt, wie einen Gefangenen, einen Freak? Na ja, ich wurde daraufhin ziemlich wütend. Er war zu weit gegangen. Ich befahl ihm, den Mund zu halten. Und dann …« Daniel runzelte die Stirn. »Es ging alles so schnell. Betty ist ziemlich aufgebracht vom Tisch aufgesprungen. Ihr Stuhl fiel hinter ihr um. Ich dachte, sie wäre wütend auf Finn, aber dann beugte sie sich über den Tisch und schlug mir ins Gesicht.« Er zog eine Grimasse und trank den Rest seiner Brühe. »Danach drehte sie sich zu Finn um und streckte die Hände nach ihm aus, um ihn in den Arm zu nehmen … Er versuchte, sich ihr zu entwinden, und dann zuckte irgendetwas über sein Gesicht. Und ich meine keinen Gesichtsausdruck, sondern ein Licht. Ich habe einfach nur dagesessen wie der letzte Idiot und mich selbst bemitleidet,

Weitere Kostenlose Bücher