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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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sich zusammen. Dot sah zu ihr herüber und warf ihr einen langen, prüfenden Blick zu. Elsa erwiderte ihn und die zwei Frauen sahen sich eine Weile in die Augen. Dann wandte die Nonne sich wieder lächelnd der Kanzel und dem schwadronierenden Pfarrer zu.
    * * *
    Irgendwann war die Predigt zu Ende und der Pfarrer leitete die Gemeinde in einem Gebet an, das Elsa nicht kannte. Alle anderen, nur nicht sie, murmelten die Worte mit und schienen sie an alle anderen, nur nicht sie, zu richten (bis auf Dot, die Elsa ansah, während sie sie sprach), und dann war der Gottesdienst zu Ende. Gelenke knackten und knarzten, als die Gemeinde sich erhob und auf den Weg zu der geschlossenen Flügeltür machte, die von einem strahlenden Kranz von Tageslicht eingerahmt war.
    Elsa blickte zu Daniel Fossiter im vorderen Teil der Kirche. Er stand langsam von seiner Bank auf und blickte dann zurück über die Reihen, bis er Elsa entdeckte. Hastig senkte sie den Blick.
    Der Pfarrer hatte die Türen geöffnet und sich dann in einen schattigen Winkel zurückgezogen. Elsa schüttelte ihm die knochige Hand, wünschte ihm eine angenehme Woche und trat dann schnell nach draußen ins Licht des späten Vormittags. Sie wollte nicht mehr in der Nähe der Kirchentür sein, wenn Daniel Fossiter herauskam. Der Himmel war mit einem grauen Wolkenschleier verhangen, der die Stadt mit den Bergen ringsum verschmelzen ließ.
    »Altostratus«, dachte sie, bevor ihr bewusst wurde, dass jemand anderes das Wort laut ausgesprochen hatte. Es war Dot, die hinter ihr aus der Kirche getreten war.
    Die Nonne zwinkerte ihr zu. »Sie machen einen Eindruck, als müssten Sie noch woanders hin. Keine Sorge, ich halte Sie nicht auf. Aber wir Wolkenfreunde sollten einander nie im Stich lassen. Sie müssen mich mal in meinem Kloster besuchen kommen. Kenneth kann Ihnen den Weg beschreiben. Und warten Sie nicht zu lange damit. Ich kann Ihnen einiges zeigen. Mehr Bilder. Ich habe eine ganze Menge Bilder da oben.«
    »Vielen Dank«, sagte Elsa und meinte es ehrlich. »Das mache ich ganz sicher.«
    Dot nickte und drehte sich dann wieder zur Kirchentreppe um, gerade als Daniel Fossiter durch die Tür trat, der seinen Hut aufsetzte und die kleine Menge absuchte, bis er Elsa entdeckte. Er bewegte sich in ihre Richtung, als hätte er ihr etwas Wichtiges zu sagen, doch fand sich plötzlich völlig unvermittelt einer kleinen alten Nonne gegenüber, die ihm in den Weg getreten war. Sie zwitscherte, dass es ein Vergnügen sei, ihn zu sehen, bevor sie ihn in den Unterarm kniff und sich nach seiner Gesundheit erkundigte.
    Elsa indessen nutzte ihre Chance und machte sich davon in Richtung Prospect Street.

Am späten Nachmittag machte sich Elsa auf den Weg in ein Teehaus, das sie bei einem ihrer Erkundungsgänge durch die Stadt entdeckt hatte. Das Wallflower lag am Ende einer verwinkelten Gasse mit überwucherten Hauswänden. Fliegen und Motten summten zwischen den Blättern umher oder schwirrten über gesprungenen Kanaldeckeln, die den Blick in tiefschwarze Schächte freigaben. Über Elsas Kopf spannte sich ein grünes Dach aus Kletterpflanzen von einem Haus zum anderen, die Stängel an manchen Stellen so dick wie Kinderarme. Ein Stück weiter die Gasse hinunter kam Elsa an einer Straßenlaterne vorbei, die schwach durch ihr Gefängnis aus Blattwerk blinzelte, und der Anblick rief Elsa das Heckenlabyrinth in Erinnerung, in das ihre Mum und ihr Dad einmal, als Geburtstagsüberraschung, mit ihr gefahren waren. Damals hatte nur sie das Zentrum des Irrgartens gefunden und dort eine geschlagene Stunde lang vergeblich auf ihre Eltern gewartet.
    Schließlich mündete die Gasse in einen kleinen Hof, der von ähnlich grün bewachsenen Mauern und Rankgittern voll trompetenförmiger Blüten umgeben war. Irgendwo in der Nähe plätscherte unsichtbares Wasser und befeuchtete die Luft.
    Sechs kleine Tische waren um einen kleinen Verkaufsstand gruppiert, an dem Elsa das gleiche sirupartige Honiggetränk bestellte wie beim ersten Mal, als sie diesen Ort gefunden hatte. Der einzige andere Gast war ein verhutzelter alter Mann mit einem speckigen Regenhut auf dem Kopf. Sie erkannte ihn als Abe Cosser aus Kenneths Chor, doch er schien sie nicht bemerkt zu haben. Er rauchte eine Pfeife und blickte gedankenversunken zum Himmel auf, wie erstarrt, bis auf das gelegentliche Saugen am Mundstück seiner Pfeife.
    Elsa suchte sich einen Platz und beobachtete einen orangefarbenen Schmetterling, dessen knittriges

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