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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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während Betty immer noch versuchte, Finn zu umarmen. Und dann, ganz plötzlich, leuchteten noch mehr Lichtblitze auf, aber diesmal durchliefen sie seinen ganzen Körper. Elsa, es war, als wäre mit einem Mal Strom durch seine Adern geflossen anstelle von Blut – ich konnte jede einzelne von ihnen sehen wie einen verzweigten Blitz am Himmel!« Er schluckte. »Es gab ein schreckliches Knistern und dann sprang der Blitz auf Bettys ausgestreckte Arme über. Der Stromschlag schleuderte sie mit solcher Wucht durch den Raum, dass sie sich eine Rippe brach.« Daniel drückte sich die Fingerknöchel auf die Lider und fletschte einen Moment lang die Zähne. »Sie hätten ihre verbrannte Haut riechen müssen … Elsa, bitte. Ich erzähle Ihnen das nur zu Ihrer eigenen Sicherheit. Sie sind zu leichtsinnig – Finn ist nicht dafür geschaffen, unter normalen Menschen zu leben. Er hätte überhaupt nicht geboren werden dürfen.«
    Er wartete darauf, dass Elsa etwas sagte, und nahm mit grimmiger Zufriedenheit ihr bleiches Gesicht und die aufgerissenen Augen zur Kenntnis. Es war gut, dass sie so erschrocken war. Es bereitete ihm keinerlei Vergnügen, sie so zu sehen – er verspürte keine Genugtuung. Aber sein Vater hatte recht gehabt: Die wichtigsten Lektionen im Leben waren die, die am meisten schmerzten.
    In einem langen Zug trank sie ihr Honiggetränk aus, das inzwischen lauwarm geworden war. »Mein Dad ist letztes Jahr gestorben.«
    Daniel kratzte sich unbehaglich den Bart. Er hatte nicht erwartet, dass sie so etwas sagen würde, und genauso wenig, dass sie sich so schnell wieder fassen würde. »Das … das tut mir leid für Sie.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Tja, danke, nehme ich an. Es war ziemlich hart. Ich dachte bis dahin immer, er wäre unzerstörbar, weil er sein ganzes Leben lang unversehrt durch die schlimmsten Unwetter spaziert ist. Einmal ist er sogar vom Blitz getroffen worden.«
    »War er schwer verletzt?«
    »Kein bisschen. Er ist kurz ohnmächtig geworden und dann einfach wieder aufgestanden. Und am nächsten Tag hat er sich auf die Jagd nach dem nächsten Unwetter gemacht. Sie sehen also, es muss nicht immer tragisch enden, wenn so etwas passiert.«
    Daniels Mut schwand. Er schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie ihr Vater gewesen war. Er musste ein ziemlicher Draufgänger gewesen sein, so viel stand fest. »Das klingt«, sagte er schließlich, »als wäre er entweder ziemlich mutig gewesen oder ziemlich dumm.«
    »Nein!« Mit einem Ruck richtete Elsa den Zeigefinger auf ihn. » Sie sind der Dumme hier. Wenn Sie Finn nicht das Leben so schwer gemacht hätten, wäre es vielleicht nie so weit gekommen!«
    Er keuchte auf. Es war Jahrzehnte her, seit ihn jemand als dumm bezeichnet hatte, und damals war es sein Großvater gewesen, der seinen Enkel noch vom Totenbett aus dafür zusammengestaucht hatte, dass dieser für seine Seele beten wollte.
    »Als ich gestern mit Finn zusammen war«, fuhr sie fort und plötzlich traten ihr Tränen in die Augen, »hatte ich das Gefühl, als wäre plötzlich alles an seinen Platz gerückt. Aber das verstehen Sie wahrscheinlich nicht.«
    »Doch«, entgegnete Daniel, »das verstehe ich voll und ganz.« Resigniert schüttelte er den Kopf und schob seinen Stuhl zurück. Als er aufstand, fühlten sich seine Beine alt und schwach an. Er fand kaum die Kraft, seine Wirbelsäule zu strecken. Er versuchte, sich Elsa nicht mit den Brandwunden vorzustellen, die er bei Betty hatte versorgen müssen, oder sogar noch schlimmeren. »Vielen Dank für Ihre Zeit, Miss Beletti.« Er klopfte seinen Hut in Form und starrte müde darauf. »Ich bin kein Mann, der immer das letzte Wort haben muss, darum werde ich nur noch eine einzige Sache sagen. Wenn ich das getan habe, können Sie das letzte Wort haben.« Er räusperte sich. »Jeder Mensch glaubt, verschont zu bleiben. Betty hatte das Glück zu überleben. Ihr Vater hatte das Glück zu überleben. Aber nicht jeder hat Glück.« Er setzte seinen Hut auf, hakte die Daumen in die Hosentaschen und wartete darauf, dass sie etwas erwiderte.
    Eine Weile saß sie nur schweigend in ihrem Stuhl, wütend auf sich selbst, weil ihr keine schlagfertige Antwort einfiel. Am Ende entschied sie sich für: »Jaja«, und wünschte im nächsten Moment, sie hätte ganz den Mund gehalten.
    Daniel Fossiter nickte und marschierte davon.
    Elsa atmete aus.
    Erst als er fort war, gestattete sie sich zu zittern. Am liebsten hätte sie sich übergeben.
    Das

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