Der Mann, der den Regen träumt
der die Tapete gelb verfärbt hatte. An den Wänden hingen Spitzhacken und rostige Handbohrer neben Schwarz-Weiß-Fotografien von steif posierenden Arbeitern oder den Schächten selbst – schwarzen, in die Felswand gegrabenen Quadraten.
Heute, da es in Thunderstown keine Bergmänner mehr gab, waren die Mitglieder des Clubs bunt zusammengewürfelt: Kaufleute und Büroangestellte und solche Klatschmäuler wie Sidney Moses, Hamel Rhys und Abe Cosser trafen sich von Zeit zu Zeit hier im Gemeinschaftsraum, um Dame zu spielen oder Brühe zu schlürfen, und nahmen dabei noch nicht mal ihre Regenhüte ab. Daniel ging nie zu diesen Treffen, obwohl er ebenfalls zu den Clubmitgliedern gezählt wurde. Das Oberhaupt der Fossiter-Familie (obwohl keiner von ihnen je ein Minenarbeiter gewesen war) hatte schon immer einen Platz im Club innegehabt.
Ein Kreis aus alten Lehnsesseln stand in der Mitte des Raums und Mole rollte sich neben einem davon zusammen und vergrub ihre Schnauze unter ihrer Vorderpfote. Daniel betrachtete sie eine Weile und bemitleidete sie dafür, dass sie sich von einer Jägerin, tödlich wie eine Gewehrkugel, zu einem steifbeinigen Häufchen Elend verwandelt hatte, das aussah wie das Meisterwerk eines Tierpräparators.
Er ging weiter in das angrenzende, etwas kleinere Zimmer, wo schmale Lichtstrahlen durch die hohen Fenster hereinsickerten und sich Reihen von Bücherregalen an den Wänden entlangzogen. Er fuhr mit dem Zeigefinger über die Buchrücken. Es waren die Stammbäume der Einwohner von Thunderstown, von denen die meisten schon seit Jahren keine neuen Zweige mehr bekommen hatten oder von der gegenwärtigen Generation nicht mehr fortgeführt worden waren. Allein die zehnbändige Reihe mit dem Namen Fossiter lag nicht unter einer Staubschicht begraben und Daniel zog das letzte Buch der Sammlung heraus und nahm es aus dem Regal.
Der Einband trug noch heute die gedehnten Narben der Ziege, aus deren Haut er gefertigt worden war, genauso wie die lederne Schnalle, die Daniel jetzt aufschnappen ließ. Die vergilbten Seiten waren unnummeriert und dicht bedeckt von handschriftlichen Notizen. Über jede Seite erstreckten sich verzweigte und einander überschneidende Verwandtschaftsverhältnisse. Cousins hatten Cousinen zweiten Grades geheiratet; Witwen waren an ledige Brüder weitergereicht worden. Immer wieder tauchte der Name Daniel auf: Es hatte eine Zeit gegeben, zu der er in jeder einzelnen Generation vorgekommen war. Jetzt war er nur noch ein Überrest dieser herrschaftlichen Familie, eine Art umgekehrter Adam, der dafür sorgen würde, dass die letzten Seiten des Buches leer blieben.
Daniel Fossiter ging zurück in den Gemeinschaftsraum und setzte sich in einen Sessel. Mole winselte im Schlaf – ein willkommener Laut, der ihm versicherte, dass sie noch am Leben war. Er ahmte ihre Reglosigkeit nach, die Fäuste auf die Armlehnen gelegt, den Familienstammbaum aufgeschlagen auf dem Schoß.
Die Namen seiner Vorväter waren alle in derselben krakeligen Schrift niedergeschrieben worden, mit derselben Tinte, die sich mit der Zeit braun verfärbt hatte. Nachdem Daniel auf die Welt gekommen war, hatte sein Vater die letzte beschriebene Seite gefüllt und eine gerade Linie von seinem Namen zu dem seines Sohnes gezogen. Als Daniel diesen Eintrag entdeckt hatte, war er nicht sicher gewesen, ob er Hass oder Mitleid für den alten Mann empfinden sollte, denn wer immer diesen Stammbaum aufschlug, musste glauben, dass Daniel aus dem Körper des Pfarrers Fossiter allein hervorgegangen war. Um diese Unwahrheit zu korrigieren, hatte er sich eine von Sally Nairns antiken Schreibfedern und Tinte ausgeborgt, die in ihrem Gläschen wie ein tropischer Ozean in Miniatur aussah, und war dann zu dem Stammbaum zurückgekehrt, um vorsichtig den Namen seiner Mutter darin zu vermerken und eine Linie zu ziehen, die sie mit ihm verband. Erst als er damit fertig gewesen war, hatte Daniel sich gefragt, ob er einen Fehler gemacht hatte. Er hatte Maryam Fossiter geschrieben, weil sie seine Mutter gewesen war und ihn auf die Welt gebracht hatte und er mit jeder Faser seines Körpers ein Fossiter war. Aber sie war keine Fossiter gewesen. Sie hatte seinen Vater nie geheiratet, geschweige denn seinen Namen angenommen, und genau das war der Vorwand seines Vaters gewesen, um sie zu verstoßen. »Es ist, wie der Herr gesagt hat: Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich.«
Daniel schloss die Augen und ließ zu, dass die Erinnerungen an seine
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