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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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Mutter ihn übermannten. Ihr Gesicht konnte er sich nicht mehr ins Gedächtnis rufen (schon seit Jahrzehnten nicht mehr), nur noch ihr schwarzes Haar, das ihr bis zur Taille herabhing. Er sah ihre Unterarme und Hände und Hüften vor sich, denn er war noch so klein gewesen, als sie ging, dass dies die Körperteile von ihr gewesen waren, die er am häufigsten gesehen hatte. Er wusste, dass er gelitten hatte, als sie Thunderstown verließ, aber es war eine andere Art von Schmerz gewesen als der, den er verspürt hatte, als Betty gegangen war. Er war zu jung gewesen, um es zu verstehen. Es hatte sich angefühlt, als wäre er ziellos auf einem Ozean getrieben.
    In seiner Erinnerung blätterte seine Mutter geistesabwesend und vor sich hin summend durch die Theologiebücher seines Vaters und schnalzte hin und wieder mit der Zunge, als wären all diese Abhandlungen gelehrter Männer nicht viel mehr als die verrückten Ideen kleiner Kinder. Sein Vater hatte sie dabei beobachtet, erbost über ihren Unglauben, aber schweigend. Dies war eine von den wenigen Erinnerungen an sie, die Daniel in seinen Gedanken mit derselben Hingabe hegte wie diese Stammbäume.
    Und doch hatte er auch eine seltsame Erinnerung an sie, die ihn nicht mit Zuneigung erfüllte, sondern mit Kälte. Seine Mutter hatte in einem Schaukelstuhl auf der Veranda des Pfarrhauses gesessen. Er, kaum mehr als ein Kleinkind, hatte im Garten gespielt und war zurück zum Haus gelaufen, um ihr irgendetwas zu zeigen, das er dort ausgebuddelt hatte. Zu seiner Bestürzung hatten zwei wilde Hunde neben ihr gehockt, die Schnauzen in ihren Schoß gebettet. Sie hatten die Augen halb geschlossen, während seine Mutter ihnen über die Köpfe streichelte. Er war schreiend auf sie zugerannt und hatte wild mit den Armen gewedelt, bis die Hunde aufgesprungen und zurück in die Berge geflohen waren.
    Daniel schnaubte. Manchmal wünschte er sich, diese eine Erinnerung an seine Mutter würde einfach verblassen und nicht jedes Mal in ihm aufsteigen, wenn er an glücklichere Tage mit ihr denken wollte. Er stand auf und stellte den Familienstammbaum zurück ins Regal.
    Einmal, vor langer Zeit, hatte er Betty in den Club mitgenommen, um ihr den Namen seiner Mutter zu zeigen, zusammen mit den Hunderten von der Familie seines Vaters. Damals hatte der alte Mr Nairn jeden Sonntagnachmittag in der Küche des Clubs gekocht. Mr Nairn hatte mit dem Konzept einer vegetarischen Ernährungsweise nie viel anfangen können und Daniel war klar gewesen, dass seine matschigen Kartoffeln und der Kohl in schmierig weißem Schweinefett gebraten worden waren. Selbst auf die Gefahr hin, dass sich Betty der Magen umdrehen würde, hatte er sie hierher gebracht, um ihr zu zeigen, wer er war und wo seine Wurzeln lagen. Sie hatte es verstanden und war bereitwillig mitgekommen. So viele Fossiters hatten in diesem Gemeinschaftsraum so viele Stunden ihres Lebens vertrödelt, dass Daniel beinahe meinte, die Geister seiner Vorfahren in den Sesseln sitzen zu sehen, die noch immer die Abdrücke ihrer Körper trugen. Er hatte Betty nicht mit hierher genommen, damit sie Mr Nairns Essen probierte, sondern um ihr die Vertiefungen in den Sesselpolstern zu zeigen. Wie stolz er gewesen war, sie an seiner Seite zu haben. Er war schon immer groß und kräftig gewesen – selbst als Kind hatte er alle seine Klassenkameraden überragt –, aber mit Betty an seiner Seite hatte er sich schwerelos gefühlt, so als schwebte er ein paar Zentimeter über dem Boden.
    Ein Schuss ertönte. Daniel blinzelte und wusste einen Moment lang nicht, in welchem seiner Lebensjahre er sich gerade befand. Auch Mole hatte das Geräusch gehört und rappelte sich mühsam auf, die Ohren gespitzt, das blinde Auge tränend. Es war von der Straße gekommen und Daniel eilte auf die Tür zu, während Mole schnaufend neben ihm hertrottete.
    Sie liefen ein Stück die Widdershin Road hinunter bis zu der Stelle, wo die von Bäumen gesäumte Foremans Avenue abzweigte, und von dort aus bergauf in Richtung des Drum Head. Knapp dreißig Meter die Straße hinunter wohnte Sidney Moses, der in diesem Moment, ein Gewehr in der Hand, vor seinem Haus stand. Daniel näherte sich ihm, doch Sidney bemerkte ihn nicht, denn er schien zu fasziniert von der Ziege, die im Schatten eines der Bäume am Straßenrand kauerte. An ihrer heraushängenden Zunge klebten kleine Stückchen von Baumrinde und Flechten und aus einer Schusswunde an ihrem Hals strömte Blut in ihren Bart. Sie wirkte

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