Der Mann, der den Zügen nachsah
daß er ankündigen konnte:
»Aha! Die ›Jesus-Maria‹ ist jetzt an der zweiten Brücke. In einer halben Stunde wird sie hier sein.«
Dann, punkt elf Uhr, brachte der Bürojunge eine Tasse Tee mit zwei trockenen Törtchen.
Und die ganze Zeit war Julius de Coster senior ganz allein in seinem Privatbüro hinter gepolsterten Türen. Und kein Mensch kam auf die Idee, daß er nicht mehr bei Verstand war! Man baute ihn in seinem Sessel auf wie eine Mumie oder wie das Wahrzeichen der Firma. Man zeigte ihn nur noch für kurze Augenblicke vor, und die Kunden hielten seine totale Vergreisung für Weisheit.
Kees wälzte sich in seinem Bett, das allmählich etwas schwitzig wurde. Der Pyjama klebte ihm unter den Armen. Dennoch zögerte er aufzustehen, weil er dann Entschlüsse hätte fassen müssen.
In der Geborgenheit seines Zimmers konnte er alles im Geiste entscheiden. Pamela schien ihm nahe, und vor Eleonore de Coster scheute er kaum noch zurück, trotz ihrer hochmütigen Zigarettenspitze.
Aber wenn er sich anziehen würde, auf wäre in seinem grauen Anzug, gewaschen und frisch rasiert, die blonden Haare mittels Pomade fest anliegend?
Schon mußte er ein bißchen gegen seine Neugier, ja
eigentlich gegen noch ein anderes unausgesprochenes Gefühl ankämpfen, nicht hinunter zu gehen und sich mit dem, was da vorging, zu befassen. Der Kapitän der ›Ozean III‹, ordinär und brutal, wie Kees ihn kannte, war imstande, den ganzen Hafen aufzuwiegeln und Schadenersatz zu fordern.
Und wenn wirklich die Polizei erschiene?… Das war so ungewöhnlich, daß man gar nicht vorhersehen konnte, wie das abliefe… Das ganze Erdgeschoß bestand aus Lagerräumen – richtige Magazine, ohne Ladentische –, wo die Ware bis an die Decke gestapelt war und die Lageristen blaue Schürzen trugen.
In einer Ecke war ein verglastes Büro mit einem Fenster zum Hafen, während die anderen drei Seiten zum Lager hin offen waren: das Büro von Kees, der von hier aus gleichsam ein Orchester dirigierte.
Im ersten Stock weitere Vorratslager, dann Büros; und Büros im zweiten Stock, über dem zwei Meter breiten Querstreifen, auf dem in großen schwarzen Buchstaben auf weißem Grund zu lesen war: Julius de Coster en Zoon – Shipshandler.
Er hatte den Mut, nicht aufzustehen, aber es verdroß ihn, daß man ihn so lange allein ließ; dabei hatte er selbst in aller Form befohlen, ihn nicht zu stören.
Was machten sie nur da unten, die beiden Frauen? Warum hörte man sie nicht mehr? Und wieso kamen sie nicht, um ihn über den Selbstmord seines Chefs auszufragen?
Klar, er würde nichts sagen! Aber es ärgerte ihn, daß man sich nicht so bald an ihn wandte.
Er verspeiste seine Apfelsine, ohne Messer, warf die Schalen auf den Boden, um Mama zu ärgern, zog die Bettdecke über sich, vergrub den Kopf tief im Kissen, schloß die Augen und zwang sich, an Pamela zu denken und an alles, was er mit ihr anstellen würde.
Der Pfiff eines Zuges drang an sein Ohr wie eine Verheißung; schon halb eingeschlummert, beschloß er, nicht bei Tage abzureisen, weil das zu nüchtern wäre, zwar auch nicht gerade die Nacht, aber zumindest die Dunkelheit abzuwarten, die gegen vier Uhr eintrat.
Pamela war brünett, wie Eleonore… Sie war fülliger als jene… Was Frau Popinga betraf – sie war stattlich, aber nicht korpulent. Sie war immer ein wenig schamhaft, wenn Kees abends zärtlich zu ihr war, und zuckte beim kleinsten Geräusch zusammen, voller Angst, die Kinder könnten etwas hören.
Kees dachte mit aller Kraft an Pamela; doch dann beschwor er, unwillkürlich und ohne sich dessen bewußt zu sein, Bilder des Hauses de Coster en Zoon herauf, Ausschnitte vom Hafen, Schiffe, die gerade Ladung aufnahmen oder löschten, und als er das merkte, drehte er sich schwerfällig auf die andere Seite und begann von neuem:
»Wenn ich in ihrem Appartement im Carlton ankomme, werde ich ihr sagen…«
Er wiederholte sich Sekunde für Sekunde die
Geschehnisse, wie er sie voraussah.
»Papa?«
Er hatte geschlafen, soviel war sicher, denn er fuhr hoch und erblickte bestürzt seine Tochter, die ein weinerliches Gesicht machte.
»Was hast du Mama getan?«
»Ich?«
»Sie weint. Sie sagt, du bist nicht in deinem normalen Zustand und es passieren schreckliche Dinge.«
Wie schlau war das!
»Wo ist sie denn, deine Mutter?«
»Im Eßzimmer… Wir setzten uns zu Tisch… Carl ist zurück, und Mama wollte nicht,
Weitere Kostenlose Bücher