Der Mann, der den Zügen nachsah
ihm gleich gültig! Von dem Augenblick an, da er nicht mehr Prokurist war und seine Villa ihm nicht mehr gehörte, ja auch nur die kleinste Veränderung eingetreten war, mochte der Rest auch zum Teufel gehen.
Er war bereit, Pfeife zu rauchen wie Claes, Käse minderer Qualität zu essen und alle vergunnings der Stadt zu frequentieren, um sich in völliger Unbefangenheit einen Genever zu bestellen.
Ein Sonnenstrahl kam hervor, drang durch den gepunkteten Musselinevorhang schräg ins Zimmer und zitterte ein wenig im Spiegel der Schranktür. Die beiden Frauen unten bewegten sich, hantierten mit Eimer und Scheuerlappen. Mama horchte wohl von Zeit zu Zeit nach oben und fragte sich, was er mache.
Es klingelte. Gedämpfte Stimmen redeten unten im Flur. Frau Popinga kam herauf, trat, sich gleichsam entschuldigend, ins Zimmer und sagte mit schmerzerstickter Stimme:
»Die kommen wegen des Schlüssels…«
Der Schlüssel zum Hause de Coster, natürlich! Gewiß standen sie alle unten vor der Tür und stellten alle möglichen Vermutungen an.
»Rechte Tasche in meinem Jackett.«
»Du hast ihnen nichts auszurichten?«
»Überhaupt nichts.«
»Und du gibst ihnen nicht ein Wort an Herrn de Coster mit?«
»Nein!«
Das war im wahrsten Sinne des Wortes unerhört. Nie hätte er gewagt, an so etwas auch nur zu denken. Das zeigte sich schon darin, daß sie, wenn sie sich vorspiegeln wollten, reich zu sein, und sich ihren Ruin ausmalten, immer nur auf so dumme Auswege wie Wirtschafterin auf Java und zweiter Offizier auf einem Schiff verfallen waren.
Nie im Leben! Weder dies noch etwas anderes! Wenn schon ein Ende, dann auch ein richtiges und ein für allemal! Das mußte ausgenutzt werden!
Er bereute sogar, gestern abend nicht so geistesgegenwärtig gewesen zu sein, es de Coster klipp und klar zu sagen. Er hatte ihn reden lassen, und der hatte ihn für einen Schwachkopf gehalten, jedenfalls für einen ängstlichen, zu keinem Entschluß fähigen Biedermann, während seine eigene Entscheidung schon nahezu gefallen war.
Er hätte ihm schlicht erklären müssen:
»Wissen Sie, was ich zunächst machen werde? Ich werde Pamela in Amsterdam aufsuchen…«
Denn das war eine alte Rechnung, die er zu begleichen hatte. Das schien vielleicht nicht ganz ernst gemeint; nichtsdestoweniger war es sein dringlichstes Anliegen, denn am meisten demütigte es Kees, daß er es nie gewagt hatte, daß er jede Woche an einem gewissen Haus vorbeigegangen und dabei errötet war wie ein lüsterner Pennäler, wohingegen…
Also, dieser Punkt war entschieden: zuerst Pamela! Und dann…
Man würde sehen! Wenn Kees noch nicht wußte, was er dann tun würde, so wußte er doch ganz genau, was er nicht tun würde, und auch davon war am vergangenen Abend die Rede gewesen, und er hatte nicht den nötigen Mut gehabt, etwas dazu zu sagen.
Hatte de Coster nicht auf Arthur Merkemans angespielt? Und hatte Dr. Claes sich nicht noch deutlicher dazu geäußert, als wollte er sagen:
»Ihr Schwager hat mich wieder anpumpen wollen. Wirklich ein trauriger Kunde!«
Nein, Kees würde kein zweiter Merkemans werden. Er kannte die Verhältnisse in Groningen besser als jeder sonst. Keine Woche verging, ohne daß Männer mit mehr Diplomen und Zeugnissen als er sich um irgendeine Stelle bewarben, und am widerlichsten waren gerade die in eleganten, wenn auch abgetragenen Anzügen, die einem vorjammerten:
»Ich war schon Direktor in der und der Firma.
Gleichwohl würde ich jede beliebige Arbeit annehmen, denn ich habe Frau und Kinder…«
Sie gingen von Haus zu Haus mit einer Aktentasche unter dem Arm. Manche versuchten, elektrische Ventilatoren oder Lebensversicherungen an den Mann zu bringen.
»Nein!« versicherte er mit lauter Stimme, während er sich von ferne im Spiegel betrachtete.
Er würde nicht abwarten, bis seine Anzüge fadenscheinig waren und seine Schuhe Löcher hatten, noch daß die Kameraden vom Schachverein ihn so weit bemitleideten, daß sie ihm den Beitrag erließen, wie es durch Vorstandsbeschluß bei einem Mitglied geschehen war, allgemeine Mildtätigkeit und so weiter…
Im übrigen kam so etwas überhaupt nicht in Frage. Gewiß, er wäre nicht imstande gewesen, das zu bewirken, was nun eingetreten war. Aber da es nun mal eingetreten war, konnte er gleichwohl davon profitieren.
»Was gibt es denn jetzt wieder?« rief er.
»Frau de Coster läßt fragen, ob du nichts von ihrem Mann
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