Der Mann, der den Zügen nachsah
eine andere Erklärung dafür suchen, daß er…
Von alledem blieben bei ihm vor allem zwei Worte haften: Kommissar Lucas. Dann tat er einen Blick in den Kochtopf und ging bis zum Mittag zu den Spielautomaten in dem jetzt ganz menschenleeren Bistro, wo er mit dem Wirt plauderte.
Als er in die Werkstatt zurückkam, war Goin da, der gerade beim Mittagessen saß; ein Goin, den er kaum wiedererkannte, denn er trug einen eleganten Straßenanzug.
»Da sind Sie endlich, Sie…« brüllte er ihn an. »Sie sind wohl verrückt, wie? Wo sind Sie gewesen?«
»In einem kleinen sehr angenehmen Café.«
»Wissen Sie denn nicht, was passiert ist? Ich habe heute morgen den Boß gesprochen. Gestern hat ein Inspektor Jeanne aus dem Bett geholt und sie zum Quai des Orfèvres gebracht. Wenn wir nicht Ihretwegen den dicksten Ärger bekommen, können wir von Glück sagen!«
»Was hat sie gesagt?«
»Wer?«
»Jeanne Rozier.«
»Darüber weiß ich nichts. Jedenfalls befiehlt der Boß Ihnen, auf dem Zimmer zu bleiben. Rose wird Ihnen die Mahlzeiten raufbringen. Man darf Sie hier ein paar Tage nicht sehen, bis Louis Ihnen ein Zeichen gibt.«
»Sie essen nicht?« fragte Rose völlig teilnahmslos.
»Doch, wenn man mir etwas serviert.«
Goin sagte:
»Als er Sie herbrachte, habe ich nicht gewußt, daß die Sache so ernst war. Sagen Sie, was hat Sie nur gepackt? Sie sind übergeschnappt, wie?«
»Das Wort verstehe ich nicht.«
»Haben Sie das öfter, diese Anfälle, Frauen zu erdrosseln?«
»Es war das erste Mal. Wenn sie nur nicht so gelacht hätte…«
Und damit begann er, sein Schmorfleisch mit Pommes frites zu essen.
»Ich sage Ihnen besser gleich, wenn es Ihnen etwa einfallen sollte, meine Schwester anzurühren, schlage ich Ihnen die Fresse ein! Wenn ich gewußt hätte, was für ein Früchtchen Sie sind…«
Kees entschied, daß es sich nicht lohnte, darauf zu
antworten. Der würde doch nichts verstehen, und so war es besser, schweigend weiter zu essen.
»Wenn Sie nachher in Ihrem Zimmer sind, lassen Sie sich nicht einfallen, es zu verlassen. Schlimm genug, daß Sie in den Kneipen von Juvisy den feinen Mann markiert haben! Wenigstens haben Sie mit niemand gesprochen?«
»Doch.«
Das Komischste war, daß gerade Goin sich immer mehr ereiferte, während Kees ganz ruhig blieb und mit gutem Appetit weiter aß.
»Es wird sich zeigen, ob der Boß eine Dummheit gemacht hat. Aber sich vorzustellen, daß ich Sie für jemand hielt, der Hilfe verdiente!«
Ein richtiger Streit! Und Rose, die an einer Ecke des Tisches saß, immer mit dem Blick auf ihren Kohlenherd wie eine gute Hausfrau, und Kiki, der mit seinem Teller auf den Knien auf der Schwelle hockte und aß.
Popinga zog es vor, nicht zu sagen, was er dachte. Er machte eine Miene, als stecke er das alles ein, und das bewog Goin, weiterzureden:
»In drei Tagen spätestens wird der Boß zurück sein. Er muß heute abend nach Marseille fahren, aber nach seiner Rückkehr…«
Popingas Entschluß war schon gefaßt. Er beendete seine Mahlzeit, wischte sich mit dem Taschentuch den Mund ab und sagte:
»Ich gehe nach oben. Guten Abend!«
Ohne zu antworten, ließen sie ihn die Treppe hinauf, aber er war noch nicht ganz oben, als Goin ihm – nicht sehr bereitwillig – nachrief:
»Wenn Sie irgend etwas brauchen, klopfen Sie nur dreimal mit dem Fuß auf den Boden. Die Küche ist gleich darunter. Rose wird es hören…«
Kees hatte nicht das geringste Schlafbedürfnis. Er stützte
sich am Fenster auf, das eher eine Dachluke war, und ließ seinen Blick über eine erstaunliche Landschaft schweifen. Den Hintergrund bildeten beschneite Wiesen, dann Gleise, allerlei Gebäude, Eisengestänge, das ganze Sammelsurium eines großen Bahnhofs, Waggons ohne Lokomotive, die ganz von allein rollten, Reserve-Loks, die fauchend bereitstanden, Pfiffe, Heultöne und dann die wenigen Bäume, die das Massaker überlebt hatten und traurig ihr schwarzes Ästegewirr zum frostigen Himmel emporreckten.
Von allem, was er gehört hatte, behielt er nur eins fest im Gedächtnis: Louis war fort oder im Begriff, nach Marseille zu fahren.
Gegen vier Uhr, auf seinem Bett unter der Glühbirne ohne Lampenschirm sitzend, las er noch einmal:
Der Kommissar hat eine gewisse Jeanne R…, 13 Rue Fromentin, verhört, die…
Ihm wurde kalt. Er hatte die baumwollene Decke über sich gezogen. Sein Bett hatte er nahe an das Ofenrohr geschoben, das
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