Der Mann, der den Zügen nachsah
Feldbett, einem Tisch und einem zerbrochenen Spiegel an der Wand.
»Um sich zu waschen, brauchen Sie nur zu dem Wasserhahn im Flur zu gehen… Stört Sie der Lärm nicht? Sie werden nämlich Tag und Nacht die Züge pfeifen hören. Wir haben hier dicht nebenan den Rangierbahnhof.«
Sie schloß die Tür hinter sich, und er preßte sogleich
sein Gesicht an die Fensterscheibe und sah in der beginnenden Morgendämmerung Gleise bis ins Unendliche, Waggons, ganze Züge und mindestens zehn Lokomotiven, die weiße Rauchfahnen in den schmutzigen Himmel sandten.
Er lächelte in sich hinein, reckte sich, setzte sich auf das Bett und war, eine Viertelstunde später, immer noch in den Kleidern, fest eingeschlafen.
Er schlief noch, als Jeanne Rozier auf das Kriminalkommissariat geholt wurde, und er schlief immer noch, als sie sich im Chez Mélie zu Tisch setzte und als Rose, gegen zwei Uhr, verwundert über die anhaltende Stille, die Tür aufmachte.
Er erhob sich erst gegen drei Uhr, zog seine neuen Sachen an, die ihn dicker erscheinen ließen, tastete sich die dunkle Treppe hinunter und sah, daß am einen Ende des Tisches für ihn gedeckt war.
»Mögen Sie Kaninchen?«
»Aber ja!«
Er mochte alles, was sich essen ließ.
»Wo ist Ihr Mann?«
»Das ist nicht mein Mann. Er ist mein Bruder. Er ist zu einem Fußballspiel, fünfzehn Kilometer von hier.«
»Sind die anderen noch nicht zurück?«
»Die kommen nicht wieder hier vorbei.«
»Und Jeanne Rozier? Kommt die manchmal?«
»Was sollte sie hier? Ist doch die Frau vom Boß!«
Er hätte Jeanne gern wiedergesehen, ohne genau zu wissen warum. Es ärgerte ihn, in dieser Weise von ihr getrennt zu sein, und er dachte noch weiter daran, während er sein Kaninchen aß und Brot in die dicke Sauce tunkte.
»Darf ich einen Spaziergang machen?«
»Charles hat nichts darüber gesagt.«
»Wer ist Charles?«
»Mein Bruder! Goin, wenn Sie das vorziehen.«
Eine komische Person, sah eher aus wie ein Dienstmädchen als sonstwas. Ihr Teint war blaß, fast durchscheinend, sie hatte zuviel Rouge auf den Lippen, trug ein Kleid aus orangefarbener Seide, das ihr nicht stand, und Schuhe mit zu hohen Absätzen.
»Bleiben Sie den ganzen Nachmittag in der Werkstatt?«
»Jemand muß schon hierbleiben. Heute abend gehe ich tanzen.«
Er hingegen ging lieber jetzt aus. Er befand sich auf den Straßen von Juvisy, wo man heute nur sonntäglich gekleideten Leuten begegnete. Mit seinem Pullover und der Hose von Goin, die Hände in den Taschen, spazierte er umher und hatte den Einfall, sich eine Pfeife zu kaufen. Es gab nur ganz gewöhnliche, aber er kaufte eine, stopfte sie mit billigem Tabak und betrat ein wenig später ein Café, wo die Stammgäste Russisch-Billard spielten.
Dort entdeckte er einen komplizierten Automaten, in den
man einen Franc steckte, worauf sich Scheiben drehten und bei verschiedenen Früchten anhielten, was verschiedene Kombinationen ergab, die je nachdem zu einem Gewinn von zwei, vier, acht oder sechzehn Francs berechtigten oder sogar von allem, was der Apparat enthielt.
»Wollen Sie mir bitte fünfzig Ein-Franc-Stücke geben?« fragte er.
Eine halbe Stunde später verlangte er noch einmal fünfzig, denn er war richtig vernarrt in das Spiel. Man kam, um ihm zuzusehen. Er hatte sein rotes Notizbuch aus der Tasche genommen und notierte jeden Wurf.
Um fünf Uhr, als die Luft blau von Zigarettenrauch war, spielte er immer noch, unbekümmert um das, was um ihn herum vorging, denn er begann zu begreifen.
Zum Besitzer des Lokals sagte er:
»Im Durchschnitt fällt von je zwei Münzen eine in ein besonderes Fach, und das ist der Gewinn des Eigentümers.«
»Ich weiß nicht. Wir haben nichts davon. Das sind die Leute, die den Apparat bei uns aufstellen und sich dann den Ertrag abholen.«
»Alle Tage, Wochen oder wie oft?«
»Ungefähr jede Woche, das kommt darauf an.«
»Und wieviel sammeln sie ein?«
»Darüber weiß ich nichts.«
Augenzwinkernd sah man zu, wie er verzwickte Berechnungen anstellte und weiterspielte, ohne eine Miene zu verziehen. Wenn acht oder zwölf Francs herausfielen, steckte er sie ohne weiteres ein, notierte eine Zahl und spielte weiter.
Unter den Gästen waren immer einige Eisenbahner, und Kees, ohne sein Spiel zu unterbrechen, fragte einen von ihnen:
»Ist das hier ein großer Bahnhof?«
»Der wichtigste Rangierbahnhof von Paris. Hier werden die einzelnen Waggons weitergeleitet…
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