Der Mann, der den Zügen nachsah
nicht zu widersprechen wagt, hat ja gesagt, ohne weiterzudenken. Das ist die Lage! Wir werden ja sehen, ob das gut geht…«
Die Geräusche waren so deutlich, daß man gleichsam Goin sah, wie er seinen wieder zusammengebastelten Wecker aufzog.
»Geht er?«
Statt einer Antwort ein gewaltiger Krach, weil Goin, offenbar in Wut, den Wecker in eine Ecke geschleudert hatte.
»Du kaufst morgen einen anderen… Ist keine Zeitung gekommen?«
»Bis jetzt nicht.«
»Ich jedenfalls habe Louis einen guten Rat gegeben. Da sich uns schon eine solche Gelegenheit bietet, sollten wir sie benutzen, um uns von den Bullen ein bißchen Entgegenkommen einzuhandeln: Wenn wir ihnen den Satyr unauffällig ausliefern, dann ist klar, daß sie in bezug auf unsere anderen Geschäfte ein Auge zudrücken werden.«
»Was hat er darauf geantwortet?«
»Nichts. Er wird das entscheiden, wenn er aus Marseille zurückkommt.«
»Haben die auch die Guillotine, in Holland?«
»Weiß nicht. Warum fragst du das?«
»Nur so.«
Schweigen. Dann wieder Goin, etwas verlegen:
»Wäre er ein Mensch so wie wir, würde ich nicht so reden. Aber du verstehst, was ich sagen will. Hast ja selbst gesehen, wie er sich verhält. Jetzt werde ich mir meine Zeitung holen.«
Kees Popinga hatte sich nicht gerührt. Durch sein Dachfenster sah er lediglich ein paar baumelnde Laternen gegen den Himmel, und jetzt hörte er unter sich Rose auf ihren Filzsohlen kommen und gehen, Fächer oder Schränke öffnen und Porzellan oder irdenes Geschirr hineinstellen, dann plötzlich, wie sie den Ofen auffüllte.
Es verging eine lange Zeit. Für Goin war die Zeitung wohl nur ein Vorwand, sich im Bistro niederzulassen und Karten zu spielen, denn er kam erst zwei Stunden später zurück, als der Tisch zum Abendessen schon gedeckt war.
»Ist jemand gekommen?«
»Nein.«
»Und oben?«
»Scheint zu schlafen. Ich habe keine Schritte gehört.«
»Weißt du, was ich auf dem Rückweg gedacht habe? Daß solche komischen Vögel für die Gesellschaft gefährlicher sind als wir. Louis hat nur ein einziges Mal schießen müssen, auf dem Boulevard Rochechouart, weil man ihn verhaften wollte. In solchen Fällen weiß man wenigstens, woran man ist. Aber dieser hier!… Weißt du genau, was in seinem Kopf vorgeht, du?«
»Ganz gewiß nichts zum Lachen«, seufzte Rose.
»Was willst du machen? Ich sag’s nochmal: Was mich betrifft, ich mag so was nicht unter meinem Dach!… Wieder Kaninchen! Da bist du wohl drauf abonniert, wie?«
»Ist von gestern übriggeblieben.«
»Wir werden ihm was raufbringen müssen.«
»Ich gehe gleich.«
Und wirklich. Ein wenig später klopfte Rose an die Tür:
»Machen Sie auf!« sagte sie zugleich. »Ihr Essen.«
Popinga hatte sich erhoben. Er öffnete, und da Rose mit einem Tablett beladen war, richtete er es absichtlich so ein, daß er zwischen ihr und der Tür stand, und sah sie aus verkniffenen Augen beunruhigend an.
»Wenigstens Sie sind nett zu mir«, sagte er.
Vielleicht wußte er selbst nicht recht, ob er ihr nur Angst machen wollte oder ob es ernst war.
»Sie werden ein bißchen bei mir bleiben, nicht wahr?«
Sie wandte sich, nicht im mindesten erregt, nach ihm um und betrachtete ihn von Kopf bis Fuß:
»Denkste!« sagte sie in ordinärem Ton.
Und ihr Blick heftete sich auf die Augen ihres Gegenübers, auf sein gezwungenes Lächeln, auf seine zitternden Hände.
»Sie halten mich nicht etwa für eine Tänzerin, oder? Besser, Sie essen jetzt und gehen dann schlafen!«
So, ohne Ausbruch, zwang sie ihn durch ihre bloße Haltung, ihr den Weg frei zu geben. Auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal um:
»Wenn Sie gegessen haben, brauchen Sie nur das Tablett vor die Tür zu stellen.«
Kurz danach war Popinga fast mit der Wange an dem
Ofenrohr und hörte, wie sich die Glastür der Küche öffnete und wieder zuging. Ein Stuhl wurde gerückt: Rose, die sich setzte. Schweigen. Der Klang eines Glases gegen die Flasche.
»Schlief er?«
»Ich glaube schon.«
»Hat er nichts gesagt?«
»Was hätte er auch sagen sollen?«
»Mir scheint, ich habe euch sprechen hören.«
»Ich habe ihm gesagt, er solle essen und das Tablett vor die Tür stellen.«
»Findest du nicht auch, daß ich recht habe und daß Louis eine Dummheit macht?… Wenn Lucas Jeanne zum Quai des Orfèvres hat holen lassen, dann hat er sich dabei etwas gedacht… Jeanne wird bestimmt überwacht und Louis
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