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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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auch. Ich frage mich sogar, ob die Polizei nicht gemerkt hat, daß ich mich heute mit ihm getroffen habe. Stell dir nur vor, die wären mir gefolgt…«
    »Du willst ihn also denunzieren?«
    »Von mir aus schon, wenn Louis nicht wäre…«
      Offenbar vertiefte er sich in seine Zeitung, denn es war lange nichts zu hören. Dann ein Seufzer: »Ob wir schlafen gehen? Heute nacht ist nichts mehr zu erwarten. Ich werde die Werkstatt abschließen.«
      Popinga war Roses Forderung nachgekommen und hatte das Tablett vor die Tür gestellt und diese sorgfältig abgeschlossen. Dann hatte er die Kleidungsstücke, die Goin ihm geliehen hatte, abgelegt und seinen Sakko angezogen, in dessen Taschen er sein restliches Geld und sein rotes Notizbuch gesteckt hatte.
    Er war nicht ungeduldig. Auf seinem Bett ausgestreckt, die Decke über sich gezogen, wartete er, während nebenan der Bruder und die Schwester sich in aller Ruhe auskleideten, ein paar Worte wechselten, dies und jenes zurechtrückten und sich dann zur Ruhe legten, seit ihrer Kindheit in irgendeinem armen Landstrich gewohnt, zu fünft oder sechst im selben Zimmer zu schlafen.
    »… nacht, Rose.«
    »… nacht.«
      »Ich will nicht den Propheten spielen. Ich merke schon, daß du mir nicht zustimmst. Aber du wirst sehen, daß ich recht habe!«
      »Wir werden sehen…«, erwiderte sie resigniert oder schon halb schlafend.
      Popinga wartete eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, stand geräuschlos auf und ging an die Dachluke. Es schneite. Einen Augenblick befürchtete er, das bloße öffnen des Fensters könnte mit einem Schlag den ganzen Lärm des Güterbahnhofs in das Haus hineinlassen und die Geschwister aufwecken.
      Aber er wußte auch, daß die Sache sehr schnell gehen würde. Gerade unter der Dachluke stand ein alter Lastwagen, dessen weiches Verdeck keine zwei Meter von dem Fenster entfernt war. Popinga schwang sich ins Freie hinaus, ließ sich fallen und befand sich im nächsten Moment auf einem freien Gelände hinter der Werkstatt, wo seine Fußstapfen sich in der dünnen Schneedecke abzeichneten.
    Er wollte sehen, wie spät es war, und stellte fest, daß er seine Taschenuhr nicht mehr besaß. Vermutlich hatte Goin sie ihm abgenommen. Nachdem er sich orientiert hatte, fand er den Weg nach Juvisy und kam an dem Bistro vorbei, wo er an dem Groschenautomaten gespielt hatte und wo er beinahe eingetreten wäre, um sich als der zu zeigen, der er von Hause aus war, im grauen Anzug und Mantel, mit Schlips und Kragen.
      Die Zeit sah er auf der Bahnhofsuhr: Es war zwanzig vor elf. Er ging hinein und erkundigte sich höflich bei dem Beamten, wann ein Zug nach Paris ginge.
    »In zwölf Minuten«, sagte man ihm.
      Dort auf dem Bahnsteig fühlte er sich mit einemmal richtig befreit. Nicht daß er in der Werkstatt auch nur einen Augenblick Angst gehabt hätte! Das war ein Gefühl, das er seit seiner Abfahrt von Groningen nicht mehr gekannt hatte. Aber ihm schien, als habe er seit seiner Ankunft in Juvisy plötzlich das Wohlgefühl des Entronnenseins verloren.
      Es war etwa so, als wäre er aufs neue unter eine Vormundschaft geraten, als wären andere an die Stelle von Frau Popinga und Julius de Coster getreten: Louis, Goin und dessen Schwester Rose.
      Denn diese Leute hatten ihn nicht besser verstanden als seine Leute in Groningen. Wie hatte doch Goin gesagt? Er öffnete sein Notizbuch, nur um darin das Wort wiederzufinden:
    Abgemurkst!
      Das war’s: In ihren Augen hatte er Julius de Coster »abgemurkst« und war ein »Verrückter«!
    Noch schlimmer: In den paar Stunden, die er auf seinem Feldbett gelegen und auf die Geräusche aus der Küche gelauscht hatte, war Kees sich manchmal wie bei sich zu Hause in Groningen vorgekommen, wenn er zum Beispiel das Geplauder seiner Frau mit dem Dienstmädchen gehört hatte. Das war die gleiche Art, sich in aller Ruhe Sätze und Meinungen zuzuspielen und Menschen und Dinge zu beurteilen, als ob die ganze Welt auf ihr Begriffsvermögen zugeschnitten wäre.
      Was Louis betraf, so hatte Goin durchaus recht: Das war ein Bursche, der den großen Boß spielte, aber im Grunde nicht wußte, was er eigentlich wollte.
      Popinga hatte sich niemals so stark gefühlt wie auf diesem Bahnsteig, auf dem er mit großen Schritten auf und ab ging, die Werbeplakate für die Touristen betrachtete und dabei eine Zigarre rauchte. Er war einem Louis, einem Goin, einem Julius de Coster und all diesen großspurigen Schwätzern

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