Der Mann, der die Frauen belog - Roman
mit?«
»Nein. Ich setz dich dort ab.«
»Hattet ihr Zoff?«
»Charles hat nach dir gefragt. Nicht nach mir.«
Zehn Minuten später beugte sich Riker, ehe er ging, noch einmal zu Mallory hinunter. »Was ist eigentlich mit der Spielzeugpistole, die auf der Inventarliste steht?«, fragte er leise.
Sie warf ihm einen verständnisvollen Blick zu, und dabei hatte sie dieses leise, verschlagene Lächeln um die Lippen, das Riker hasste und fürchtete.
Charles saß auf einem gelben Plastikstuhl, der für seine langen Gliedmaßen zu klein war, schlug die Beine mal in der einen, mal in der anderen Richtung übereinander und bemühte sich, eine nicht allzu lächerliche Figur abzugeben.
Es war drei Uhr morgens, und unter dem kalten Licht der Neonröhren tat sich ständig irgendwas. Zwei Polizisten führten eine kreischende Frau vorbei, die in eine Decke gewickelt war.
Benommen und lammfromm trottete ein Teenager neben einem Kriminalbeamten her, den Charles flüchtig kannte.
Zeternd stürzten zwei Touristen herein, die gerade ihr Gepäck, ihre Brieftaschen und ihren Schmuck eingebüßt hatten. Als Nächstes kamen zwei junge Männer mit einer vierköpfigen Polizei-Eskorte um die Ecke.
»Fröhliche Weihnachten« stand in silbernen Buchstaben auf einem Spruchband über dem Schreibtisch des Diensthabenden.
Charles betrachtete die Risse und Schrunden des Linoleumbodens, bis zwei abgetretene braune Schuhe auf ihn zukamen, zu denen ein schlecht sitzender Anzug und eine Bierfahne gehörten.
Riker nickte ihm zu und ging zu den beiden Kollegen hinüber, die sich redlich bemüht hatten, Charles klarzumachen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, ein Kind einzufangen, das sich nicht einfangen lassen will. Mit erwachsenen Gaunern tun wir uns da lange nicht so schwer, hatten sie zu ihm gesagt, aber Kids finden Verstecke, auf die ein normaler Mensch nie kommen würde. In seiner Verzweiflung hatte Charles, was ihm sonst sehr gegen den Strich ging, seine Beziehungen zur Polizei spielen lassen, der Diensthabende hatte sich ans Telefon gehängt, und wenig später war Riker als rettender Engel erschienen.
Nachdem er sich die Probleme der Kollegen mit seinem verrückten Freund angehört hatte, griff er zum Telefon. Führte ein Gespräch, ein zweites, ein drittes. Beim vierten lächelte er befreit und legte die Füße auf den Schreibtisch. Die Kollegen zogen ab.
Riker sprach noch ein, zwei Minuten mit dem Teilnehmer am anderen Ende der Leitung, dann legte er auf und winkte Charles.
»Ihre kleine Freundin trug einen roten Mantel und unterschiedliche Schuhe und Socken. Verfilztes Haar«, las er weiter aus der Anzeige vor, die seine Kollegen aufgenommen hatten. »Helle Augen. Ungewaschen. Unterernährt. Motorische Fähigkeiten und Reflexe gut entwickelt. Eins vierzig groß, etwa sieben Jahre alt, sehr scheu.«
Charles nickte bestätigend.
»Sie haben ausgelassen, dass sie Kopfläuse hat, Charles. Mit Ihrer Anzeige haben Sie übrigens ein gutes Werk getan. In ihrer Angst hat sie sich in ein Obdachlosenasyl geflüchtet, wo man sie schon kennt. Den Leuten dort hat sie erzählt, ein Riese sei hinter ihr her.«
»Ich wollte sie nicht erschrecken.«
»Gut, dass Sie’s getan haben, damit haben Sie ihr zu einer warmen Mahlzeit und einem Bett verholfen.«
»Was kann ich sonst noch für sie tun?«
»Nichts, Charles. Sie werden die Kleine nie wiedersehen und auch nicht erfahren, wo sie steckt oder was aus ihr wird. Das musste ich denen versprechen. Normalerweise sagen sie einem in den Asylen überhaupt nichts. Rechtlich gesehen gehört ein Kind zu den Eltern, und danach richten wir uns, aber viele von den Leuten, die mit Straßenkindern zu tun haben, stellen sich auf den Standpunkt, dass so ein Kind manchmal länger lebt, wenn die Polizei sich nicht einmischt. Nun hatte ich zufällig bei der Frau, mit der ich eben gesprochen habe, noch was gut, und als ich ihr von meinem verrückten Freund erzählt habe, der die ganze New Yorker Polizei auf Trab bringt, damit ein kleines Mädchen Weihnachten nicht auf der Straße schlafen muss, hat sie mich gefragt, wie groß du bist.«
»Ich bin ein Narr.«
»Bleiben Sie so, wie Sie sind, Charles.«
»Ich hab Ihnen die Feiertage verdorben.«
»Seit meine Frau ausgerechnet zu Weihnachten auf und davon ist, sind diese Tage für mich kein Grund zum Feiern mehr. Trinken wir was zusammen?«
»Gern. Ich lade Sie ein.«
»Nein, Sie sind mein Gast. Ich kann Ihnen einen erstklassigen Scotch anbieten.«
Sie
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