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Der Mann, der die Frauen belog - Roman

Titel: Der Mann, der die Frauen belog - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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darauf, dass der Rabbi die unterbrochene Lektüre fortsetzte.
    »Mag sein, dass sie das eine oder andere gemeinsam haben …«, sagte der Rabbi.
    »Bei ihrem unterschiedlichen Werdegang? Sehr unwahrscheinlich.«
    »Etwas, was alle Kinder verbindet, ist die Unschuld.«
    »Unschuldig würde ich sie alle beide nicht nennen. Der Junge redet wie ein Vierzigjähriger. Und Mallory … ist Mallory.«
    »Ich meine damit mehr die Unschuld im Sinne von Gut und Böse.«
    »Dass Unschuld mit dem Begriff des Bösen in einem Atemzug genannt wird, höre ich heute zum ersten Mal.«
    »Helen hat das ähnlich gesehen wie ich. Kathy, sagte sie immer, kann gar nichts Böses tun, denn niemand hat ihr die Regeln erklärt. Und damit hatte sie gar nicht so Unrecht. Was sind Begriffe wie Gut und Böse, Recht und Unrecht für ein kleines Mädchen, das auf der Straße nur durch Diebereien und einen wachen Verstand überleben konnte? Als sie zu Louis und Helen kam, ähnelte sie diesen Wolfskindern, die von wilden Tieren aufgezogen wurden.«
    »Könnte es sein, dass die leibliche Mutter sie missbraucht hat? Das wäre eine Erklärung für die seelischen Schäden.«
    »Ich weiß nichts über ihre leibliche Mutter, Charles. Kathy hat nie von ihr gesprochen.«
    »Was könntest du nach deiner Kenntnis von Kathy über ihre Eltern sagen?«
    »Wir schätzen, dass Kathy drei oder vier Jahre auf der Straße gelebt hatte, als sie von Markowitz verhaftet wurde. Damals war sie zehn. Sie hat versucht, sich für zwölf auszugeben, Markowitz hat sie dann auf elf heruntergehandelt. Eine richtige Schule hatte sie bis dahin nie besucht. Helen hat sie testen lassen. Sie konnte lesen und schreiben, das hatte sie offenbar schon früh gelernt, und besaß eine ganz erstaunliche mathematische Begabung. Deshalb haben Helen und Louis sie, auch wenn sie es sich eigentlich nicht leisten konnten, auf eine Privatschule geschickt. In einer öffentlichen Schule, in der ein Lehrer auf fünfzig Kinder kommt, wäre dieses Talent womöglich verkümmert.«
    Der Rabbi trat ans Bücherregal, griff nach einem Karton, der zwischen den Büchern stand, und nahm ein paar lose Blätter heraus.
    »Das ist eine Probe von Kathys Handschrift, als sie zehn war. Es ist keine Kinderschrift. Irgendjemand hat sich mit ihr sehr früh große Mühe gegeben. Und dann hat Helen versucht herauszubekommen, wie es um ihre Religion stand. Wir haben sie in Pater Barrys Kirche mitgenommen, es war gerade die Zeit, wo wir uns jedes Jahr in der Gemeinde zusammentun, um Essen und Kleidung an die Armen zu verteilen. Als Kathy das Kruzifix über dem Altar sah, hat sie automatisch das Kreuz geschlagen, offenbar hatte ihr das jemand beigebracht, und Helen hat sie deshalb in jüdischer und in christlicher Ethik unterrichten lassen.
    Aus alldem schließe ich, dass sie kein ungewolltes, vernachlässigtes Kind war, sondern intensive Zuwendung erfahren hat. Vermutlich von einer Frau. Und diese Frau muss Helen Markowitz sehr ähnlich gewesen sein, deshalb hat Kathy Helen auch vom ersten Augenblick an geliebt. Kannst du dir vorstellen, dass so eine Frau ihr Kind missbrauchen oder zusehen würde, wie es missbraucht wird? Ich nicht. Ich schließe diese Frau, von der ich nichts weiß, täglich in mein Gebet ein.«
    »Du glaubst, dass sie tot ist?«
    »Was sonst könnte so eine Frau von ihrem Kind trennen?«
    »Ich bin fest entschlossen, den Richter abzuschießen.«
    Mallory saß dem jungen Arzt in demselben Café gegenüber, in dem sie ihm schon einmal die Hölle heißgemacht hatte. Sie hatte den Fisch lange genug an der Angel zappeln lassen, um seine Phantasie auf Touren zu bringen, und ihn dann genüsslich eingeholt. Die Methode Markowitz hatte sich wieder mal bewährt.
    »Heller ist einer unserer besten Leute. Wenn er wüsste, dass Sie Beweismaterial vom Tatort entfernt haben, würde er Sie glatt über den Haufen schießen. Sie nehmen die Beweise an sich und übergeben sie einem Cop. Damit sind Sie aus dem Schneider, keiner kann Sie mit einem Erpressungsversuch in Verbindung bringen.«
    »Sie haben nichts in der Hand, Mallory. Denn sonst –«
    »Ich habe die Berichte über drei Selbstmorde gelesen, bei denen keine Abschiedsbriefe vorlagen. In allen drei Fällen haben Sie ermittelt. Wen haben die Briefe belastet? Welche peinlichen Einzelheiten enthielten sie? Selbstmörder packen nur zu gern noch einmal aus, ehe sie sich vom Leben verabschieden. Ich denke mir, dass Sie auch noch andere Souvenirs mitgenommen haben. Fotos?

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