Der Mann, der die Frauen belog - Roman
Manhattan.
»An einen sicheren Ort. Ein Freund von mir hat dafür gesorgt, dass du ein paar Tage aufs Land kannst.«
»Ich halt’s aber nicht so lange aus, ohne –«
»Ich weiß.« Mallory zog die Beutel mit dem weißen Pulver aus der Tasche, die sie aus dem Teich von Bethesda gefischt hatte, hielt sie hoch und steckte sie wieder ein.
Als sie auf die kreisförmige Auffahrt einbogen, hatte sie erfahren, dass die Kleine Fay hieß und nicht mehr nach Hause konnte, weil ihre trunksüchtige Mutter sie zu Tode prügeln würde. Oder Mutters neuer Freund sich erst mal an die Junge halten würde, ehe er sich mit der Alten vergnügte. Mallory bremste vor einem großen, vornehmen alten Haus mit weißer Säulenfassade. Neben dem freistehenden Holzschild stand Edward Slopes Wagen.
»Mayfair Forschungsprojekt. Was is’n das?«
Mallory gab keine Antwort. In der Halle, die aussah wie die Lobby eines feinen Hotels, kam ein Pfleger in weißem Kittel auf sie zu. Fay versuchte sich loszumachen, aber Mallory hielt sie fest, während der Pfleger sie an den Armen packte und wegführte. »Sie haben gesagt, dass Sie mich nicht hochgehen lassen«, stieß Fay hervor. »Sie haben es versprochen!«
Sie riss sich los, lief zu Mallory zurück und umklammerte ihre Taille. »Es war abgemacht. Sie haben es versprochen.« Sie weinte jetzt, und das schrille Make-up verlief zu einer grotesken Halloween-Maske.
»Du solltest sie doch vorbereiten«, sagte Slope verärgert zu Mallory. »Dass du nie machst, was man dir sagt …«
Er hockte sich hin. »Du hast Angst vor den Schmerzen«, sagte er freundlich zu Fay. »Und es geht dir schlecht, nicht? Ja, ich seh’s dir an. Aber der Mann da gibt dir was, damit die Schmerzen vergehen. Und danach tut es nie mehr weh, großes Ehrenwort.« Zögernd ließ sie Mallory los, aber das Unglück war geschehen, das Vertrauen futsch.
Als Fay und der Pfleger außer Sicht waren, sagte Slope: »Ich habe im Rahmen meiner Möglichkeiten getan, was ich konnte. Minderjährige hier einzuschleusen ist streng verboten, ich habe sie als eine Verwandte von mir ausgeben müssen. Sie kann drei Tage zur Entgiftung hierbleiben. Und dann?«
»So weit habe ich noch nicht vorausgedacht. Ich wollte sie nur eine Weile von der Straße haben. Ach ja, und ich brauche ein Polaroidfoto von ihr. Kannst du das veranlassen?«
»Ja, sicher. Aber was wird danach aus dem Mädchen?«
»Frag mich was Leichteres. Ich hab den Kopf voll.«
»Immer, wenn ich denke, dass du dich endlich zu einem vernünftigen menschlichen Wesen gemausert hast, kommst du mir mit so was, Kathy! Du kannst eine Dreizehnjährige doch nicht einfach irgendwo abstellen wie einen Sack Kartoffeln.«
»Bei euch zu Hause kocht deine Frau, was?«
»Wieso?«
Mallory stemmte die Hände in die Hüften. »Wenn du schon mal gekocht hättest, wüsstest du, dass großes Können dazu gehört, alles zur gleichen Zeit fertig zu haben.« Ihre Stimme hob sich. »Genau das mache ich jetzt nämlich. Ich hab sechs Gerichte mit unterschiedlichen Garzeiten am Kochen, die alle gleichzeitig auf den Tisch müssen, weil sonst das ganze Essen im Eimer ist.« Sie tippte ihm mit einem langen roten Fingernagel auf die Brust. »Kümmere du dich um deinen Dreck und lass mich in Ruhe.«
Und damit stürmte die Kochkünstlerin mit der Kanone durch die Halle und aus dem Haus.
Heute bestand Mallorys Nachricht für die Verdächtigen aus einem einzigen Satz: ICH HABE EINEN ZEUGEN. Und das war nicht gelogen. Wenn man Kater mitzählte.
Obgleich der Korridor breit genug war, drückte sich Pansy Heart flach an die Wand, als ihr Mann vorbeikam. Sein Gesicht war gerötet, sein Blick böse, sein Schritt schwer. Ein Faustschlag traf wenige Zentimeter von ihr entfernt die Wand. Durch die geöffnete Tür sah sie, dass der Computerbildschirm in dem Zimmer, aus dem er gerade kam, wieder leer war. Was hatte diesmal daraufgestanden?
Am anderen Ende des Korridors klappte eine Tür. Pansy zuckte wie unter einem elektrischen Schlag zusammen und griff haltsuchend nach dem Dielentisch. Ihr Herz hämmerte.
Es lag nahe, dass sie in diesem Augenblick an den letzten Tag im Leben ihrer Schwiegermutter dachte, in deren Augen das Wissen um den nahen Tod und die Angst davor gestanden hatten. Unvermittelt aber hatte sich das gefurchte Gesicht geglättet, und zum Schluss lag auf den Zügen der Sterbenden ein Ausdruck – nein, nicht von Frieden, sondern von Triumph. Die alte Mrs. Heart war ein für alle Mal sicher vor ihrem
Weitere Kostenlose Bücher