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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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unserer Größe.
    Wir hörten, dass E715, wie man das Lager nannte, zuvor russische Kriegsgefangene beherbergt hatte. Gerüchten zufolge hatte die SS sie weggeführt, um Platz für uns zu schaffen, und sie in einen primitiven Stollen gebracht, der später unser Luftschutzbunker werden sollte. Dort waren die Russen angeblich mit Giftgas ermordet worden. Ob das stimmte, ließ sich schwer sagen. An einem Ort wie diesem erschien jedenfalls alles denkbar.
    Ich weiß heute, dass sowjetische Kriegsgefangene den ersten Experimenten mit Giftgas zum Opfer gefallen sind. Im September 1941 wurden Hunderte von ihnen in einem Keller des Hauptlagers von Auschwitz mit Zyklon B ermordet. Das »Verfahren« funktionierte, aber es war dem Lagerkommandanten nicht effizient genug. Er ließ eines der Krematorien umbauen, sodass das feste Zyklon B durch Löcher im Dach geschüttet werden konnte. Zyklon B gibt den hochgiftigen Zyanwasserstoff ab, Blausäuredampf. Bei diesen Experimenten starben neunhundert Menschen. Das Räderwerk des mechanisierten Mordes war in Gang gesetzt worden.
    Damals entfachten die Gerüchte, dass in unserem Lager Menschen vergast worden waren, meine Wut und verstärkten meinen Wunsch, endlich zu erfahren, was hier wirklich vor sich ging. Russen wurden fast so schlecht behandelt wie Juden. Wir hatten mehr Glück. Unsere Wächter kamen normalerweise aus der Wehrmacht und waren weniger brutal als die SS , aber niemand in Auschwitz legte die Menschlichkeit der Soldaten des Afrikakorps an den Tag.
    Der deutsche Unteroffizier, den wir in E715 am häufigsten zu Gesicht bekamen, war ein Mann namens Mieser. Er tauchte auf, sobald es Schwierigkeiten gab, und er war bei jedem Morgenappell anwesend.
    Während des Appells waren wir so störrisch, wie wir nur wagten. Man zählte uns schließlich nicht zu unserem Vorteil ab. Miesers Aufforderungen, still zu sein – »ruhig«, sagte er jedes Mal –, wurden von den Jungs schnell nachgeäfft. Sobald er auftauchte, brüllten wir ihn nieder und riefen alle zusammen »ruhig, ruhig, ruhig«. »Ruhig« war unser Spitzname für Mieser. Das Ganze war kaum mehr als ein Dummejungenstreich, aber unserer Moral tat es gut. »Ruhig« neigte zum Übereifer, und manche von uns hassten ihn, aber er war bei weitem nicht der Schlimmste.
    Den Lagerkommandanten – den »Hauptman«, wie wir ihn nannten – sahen wir sehr selten. Ich hatte nur einmal mit ihm zu tun. Als wir eines Nachts im Regen von der Arbeit zurückkehrten, stand ich neben einem Cockney namens Phil Hagen. Wir befanden uns in einem kleinen, von Stacheldraht umzäunten Bereich und wurden von den Posten durchsucht. Sie brauchten nicht lange, und sie hatten bei Phil ein totes Federvieh gefunden, das in seiner Hose versteckt war – ein Huhn oder eine Ente, die er sich irgendwo unter den Nagel gerissen hatte.
    Wenn wir bei etwas Verbotenem erwischt wurden, bestraften die Deutschen jedes Mal mehr Leute als nur den Schuldigen. Es wurde viel gebrüllt und gebuht, und die Wächter zogen ihre Pistolen und feuerten ein paar Schüsse in die Luft.
    Ich stand neben Phil, und so wurden wir beide abgeführt und über Nacht in eine eiskalte Bestrafungszelle vor dem Lager gesperrt. Wir bekamen weder Essen noch Wasser. Als wir am nächsten Morgen vor den Kommandanten gebracht wurden, behauptete Phil, der Vogel habe ihn angegriffen, und er sei gezwungen gewesen, ihn in Notwehr zu töten. Einen Augenblick, während gedolmetscht wurde, herrschte Schweigen; dann lachte der Kommandant laut auf, und die Anspannung verschwand. Es wurde kein Wort mehr über die Sache verloren.
    Über zwei Gräueltaten, die gegen unsere Männer verübt wurden, hat man im Lager viel geredet. Ich war zwar nicht dabei, aber ich habe alles darüber gehört.
    »Jock« Campbell war ein schlagfertiger junger Kerl, und trotz der schrecklichen Bedingungen im Lager sah er meist gepflegt, beinahe geschniegelt aus. Eines Abends kehrte die Kolonne zum Lager zurück, als Jock eine Zwangsarbeiterin entdeckte, die sich abmühte, einen schweren Behälter zu tragen. Jock verließ die Kolonne, um der Frau zu helfen. Man befahl ihm, in die Reihe zurückzukehren. Als er sich weigerte, fing er sich einen Stich mit dem Bajonett ein, der allerdings nicht tödlich war, wie sich herausstellte.
    Einige Aussagen deuteten auf einen Soldaten namens Benno Franz als Täter hin. Ich war nicht Zeuge des Vorfalls; deshalb kann ich nichts dazu sagen. Ich sah nur Campbell am Boden liegen, und einige Jungs

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