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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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vermittelte ihr den Eindruck, Ernst sei ein englischer Soldat, der eine Wunde an der Hand habe und deshalb nicht selbst schreiben könne, im Übrigen aber gesund sei. Das war natürlich Unsinn. Ich glaube, ich erfand sogar ein falsches Regiment für ihn. Jedenfalls teilte ich Susanne über meine Mutter mit – so direkt, wie ich es wagte –, dass sie Ernst nur helfen könne, wenn sie ihm Zigaretten schickte, so viele sie sich leisten könnte, und zwar über mich. Ich würde versuchen, die Zigaretten nach und nach an Ernst weiterzugeben. Mir war klar, wie weit hergeholt sich das anhörte, aber wenn mein Brief durchkam, wüsste Susanne wenigstens, dass Ernst noch lebte. Einen Versuch war es wert.
    Ich verfasste den Brief in normalem Englisch. Normalerweise schrieb ich meiner Mutter, indem ich einen Kinderkode verwendete, den meine Schwester und ich uns ausgedacht hatten.
    In diesen Briefen wimmelte es von Bezügen auf unseren Bauernhof. Ich schrieb darüber, wie unser Vieh zum Schlachthaus geschickt wurde. Um die Anzahl der KZ -Häftlinge zu übermitteln, erwähnte ich die Herde und schrieb, die Zahl liege in der dritten Potenz. Ich versuchte es sogar mit biblischen Begriffen und Verweisen auf Moses. Besonders einfallsreich war es nicht, aber besser konnte ich es nicht.
    Um hervorzuheben, dass ich von Juden schrieb, wies ich auf Königin Viktorias Premierminister hin, jedoch ohne den Namen Disraeli zu benutzen. Außerdem erwähnte ich Epping Town, wo viele Juden wohnten, wie meine Mutter wusste. Es erforderte viel Fantasie, meine Hinweise zu verstehen, aber später erfuhr ich, dass sie sehr wohl begriffen hatte, was ich ihr hatte mitteilen wollen.
    Die Welt musste unbedingt erfahren, was hier geschah. Ich versuchte meine Mutter aufzufordern, alles an das Kriegsministerium weiterzugeben. Dass ich das nicht offen tun konnte, versteht sich von selbst; deshalb nahm ich Bezug auf einen Bekannten meiner Eltern, der vor 1939 im Kriegsministerium gearbeitet hatte. Er wohnte in Ongar, und während meines Studiums war ich oft im gleichen Zug wie er nach London gefahren. Ich deutete an – so unverblümt, wie ich wagte –, dass sie versuchen sollte, den Mann zu kontaktieren. Am Ende entschied meine Mutter sich für eine andere Vorgehensweise und schrieb zwei Briefe an das Kriegsministerium. Diese Informationen waren natürlich sehr allgemeiner Natur, und ich weiß nicht, wie sie es formuliert hat. Sie war bei schlechter Gesundheit, aber sie hat sich dennoch bemüht.
    Ich hatte keine Ahnung, ob die Außenwelt überhaupt schon von den Vernichtungslagern wusste. Ich war seit 1939 in der Armee, und in der Wüste hatten uns nicht viele Nachrichten erreicht. In der Gefangenschaft hatte ich noch weniger erfahren. Heute glaube ich, die Alliierten haben zu dieser Zeit schon sehr viel über die Konzentrationslager gewusst.
    Völlig von Informationen abgeschnitten waren wir allerdings nicht. In unserem Lager, E715, gab es ein verstecktes Radio. Ich habe es nie gesehen, aber ich habe gehört, dass es ein einfacher Detektorempfänger gewesen sei. Einer der Jungs hatte es gebaut. Die Teile hatte er sich zusammengetauscht und von Leuten einschmuggeln lassen, die Verbindung nach außen hatten. Das Radio wurde sehr gut versteckt. Man vermutet, dass Charlie Coward es in seiner Obhut hatte.
    Die meisten von uns hörten die Radionachrichten aus zweiter Hand von einem Mitgefangenen, der den Spitznamen »Stimmt« trug, wahrscheinlich, weil er gern die deutschen Worte »Das stimmt« benutzte. Ich glaube, er hieß George O’Mara. Er war ein netter Kerl, der von Baracke zu Baracke zog und erzählte, was er erfahren hatte. Wenn man so will, war er eine Art flüsternder Ausrufer.
    Wenn wir die Latrinen in den Buna-Werken benutzten, sahen wir hin und wieder deutsche Zeitungen. Ich fand einmal ein Blatt – wahrscheinlich eine Ausgabe des Völkischen Beobachters  –, in dem ein Artikel der SS abgedruckt war, in dem sie ihre Pläne für Großbritannien nach dem Endsieg ausbreitete. Darin hieß es, man wolle von Whitehall aus regieren, sämtliche Kriegsgefangenen hinrichten und die englischen Mädchen von guten Ariern schwängern lassen. Für die Latrine eignete diese Zeitung sich sehr gut.
    Es war eine bedrückende Propaganda, doch mich machte sie nur umso wütender. Wie schon gesagt, ich hatte mich nicht freiwillig gemeldet, um König und Vaterland zu dienen, doch was als jugendliches Abenteuer begonnen hatte, war für mich zu einer Sache des

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