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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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Prinzips geworden – und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem ich am wenigsten unternehmen konnte.
     

     
    Wenn ich einmal nichts zu tun hatte, besaß ich recht große Bewegungsfreiheit. Legte ich mir ein Rohr oder anderes Baumaterial auf die Schulter, konnte ich auf der gesamten Baustelle herumgehen, ohne dass jemand mir Fragen stellte. Diese Möglichkeit nutzten wir alle. Gelegentlich begegnete ich dabei Ernst.
    Einmal war ich zusammen mit ein paar anderen Briten in einer Hütte auf dem Bauhof eines Unternehmers, als Ernst hereinkam. Wir hatten uns ein paar Minuten unterhalten, als wir ein Geräusch hörten und bemerkten, dass ein Aufseher herumschnüffelte. Ernst konnte die Hütte nicht mehr rechtzeitig verlassen; deshalb versteckte er sich im rückwärtigen Teil hinter ein paar umgedrehten Tischen.
    Der Aufseher kam herein, sah sich um und wollte wissen, was wir machten. Ich konnte ihn ablenken, indem ich in gebrochenem Deutsch irgendwelchen Unsinn redete, und am Ende gingen wir zusammen nach draußen und ließen Ernst in der Hütte zurück. Er wartete noch eine ganze Weile, ehe er sich herauswagte. Obwohl er Angst gehabt haben muss, sprach er nie darüber. Als wir uns das nächste Mal außer Hörweite der Kapos unterhalten konnten, sagte er nur, mein Deutsch sei sehr gut. Das stimmte zwar nicht, aber sein Lob schmeichelte mir trotzdem.
    Bei unseren geheimen Treffen erzählte Ernst mir nie von seiner Familie. Ich wusste von seiner Schwester in England; aber das war auch schon alles. Der Brief, den ich geschrieben hatte, würde wahrscheinlich nie sein Ziel erreichen, und die Adresse stimmte vermutlich auch nicht. Ich hatte keine großen Hoffnungen. Hinzu kamen alliierte Bombardierungen, Diebstahl und das allgemeine Durcheinander in Kriegszeiten. Ich hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass Zigaretten geschickt wurden.

11. Kapitel
     
     
    A ls ich Hans das nächste Mal begegnete, mühten wir beide uns mit Rohren ab, die wir von einer Stelle zur anderen schleppen mussten. Elf Stunden am Tag hoben und trugen wir das schwere Baumaterial und stapelten die gewichtigen Absperrhähne auf die niedrigen Wagen der Schmalspurbahnen zwischen den Gebäuden. Sobald sie beladen waren, schoben wir sie auf den Gleisen über die Baustelle dorthin, wo die Ventile und Rohre gebraucht wurden. Sprechen konnten wir nur zwischen dem Auf- und Abladen des Materials. Auf diese Weise entwickelten wir unseren Plan.
    Manchmal arbeiteten wir Schulter an Schulter und stemmten uns gemeinsam gegen den Wagen, aber selbst auf diese Nähe fiel es mir nicht leicht, aus dem Mundwinkel deutsch zu sprechen.
    Diesmal wurden die Rohre an Ort und Stelle hinter einer dunklen Ziegelmauer verschweißt, die zu unserer dreistöckigen Filtrationsanlage gehörte, die allmählich Gestalt annahm. Stahltreppen wanden sich in der noch unfertigen Anlage in die Höhe. Was hier mit Menschenleben bezahlt wurde, war Buna, synthetischer Gummi, der die Kriegsmaschinerie der Nazis in Gang halten sollte. Wir kannten diesen Ort als Buna-Werke.
    »Steinmauern sind kein Gefängnis, Gitter kein Käfig«, heißt es. Dieses Zitat kannte ich schon als Junge. Ich habe es mir damals zu eigen gemacht. Ich wusste, dass man meinen Geist nicht einsperren konnte; solange ich zu denken vermochte, war ich frei. Ich bin immer ein Kämpfer gewesen und nie bewusst einer Herausforderung ausgewichen, aber diesmal war es etwas anderes. Ich verstand nur wenig von östlicher Philosophie oder Religion, aber ich wusste, dass der Geist auch Ziegelmauern überwinden konnte. Mein Kampfeswille lieferte die dazu nötige Kraft.
    Wir alle hatten keine andere Wahl, als für Hitlers Kriegsmaschinerie zu schuften – die Zwangsarbeiter aus den Auschwitzer Konzentrationslagern, die Zivilarbeiter und die britischen Kriegsgefangenen.
    Wir verrichteten ähnlich zermürbende Schwerstarbeit wie die Juden, aber es gab einen entscheidenden Unterschied. Das Programm »Vernichtung durch Arbeit« galt nicht für uns.
    Wenn die Nacht hereinbrach, wurden wir zu unseren jeweiligen Lagern gebracht: die Juden nach Auschwitz III , das manchmal Monowitz genannt wurde und über das wir nur wenig wussten, und wir britischen Kriegsgefangenen zu unserem Lager E715 am Südrand der Großbaustelle.
    Ich kehrte jeden Abend zu mehr oder weniger vorhersehbaren Dingen zurück, zu einer spartanischen Hütte und schlechtem Essen, aber ich konnte wenigstens einigermaßen sicher sein, dass ich am Morgen noch lebte. Hans und die

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