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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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anderen KZ -Häftlinge kannten keine solche Sicherheit. Sie wussten am Abend nicht, ob sie den nächsten Morgen erlebten.
    Den Juden war die Menschenwürde genommen worden, aber sie hatten eine Chance, wenn sie etwas besaßen, was sie einsetzen konnten. Alle Versuche, außer der Reihe eine Brotkruste zu ergattern, liefen am Ende auf ein Glücksspiel hinaus – darauf, wie die Würfel fielen.
    Viel ausrichten konnte ich nicht. Aber mich quälte das Bedürfnis, genau zu wissen, was geschah, und zu sehen, so viel ich sehen konnte. Als die Wochen verstrichen, gelang es mir, hin und wieder mit Hans zu reden, und während unserer Gespräche ergriff der Gedanke, an seine Stelle zu treten, mehr und mehr Besitz von mir. Wenn mir das gelang, konnte ich wirklich sehen, was vor sich ging. Also hielt ich Hans einen Köder hin.
    Ich sagte ihm, dass er über Nacht ins Lager der Briten könne, wenn wir unsere Plätze tauschten. Er würde besseres Essen und größere Portionen bekommen, vielleicht sogar Eier. Um unsere Freundschaft zu besiegeln, schenkte ich ihm ein Stück von einer deutschen Wurst, die ich gewonnen hatte. Wann immer eine solche Wurst in unser Lager kam, losten wir aus, wer sie bekommen sollte. Hätten wir sie in gleiche Teile aufgeteilt, hätten alle nur einen winzigen Happen bekommen, und niemand hätte wirklich etwas davon gehabt. Bekam nur einer die Wurst, hätte er wenigstens etwas zum Kauen. Es fiel uns schwer, diese Würste herunterzubekommen, doch als ich Hans heimlich ein Stück davon gab, erhielt er mehr Nahrung als sonst in Wochen.
    Er bekam auch Zigaretten vor mir, die er eintauschen konnte. Zigaretten waren in den Lagern so wertvoll wie Gold, und ich hatte das Glück, dass ein Onkel mir jeden Monat ein Päckchen 555 zu schicken versuchte.
    Natürlich kamen längst nicht alle Zigaretten bei mir an, aber mein Vater bezahlte sie ihm nach dem Krieg trotzdem. Es war eine hübsche Stange Geld.
    Ich musste bestechen, musste Dinge beschaffen, aber ich verfügte über genügend Zigaretten, um alles zu organisieren, was ich brauchte. Ich hatte Hans die Idee sehr vorsichtig nahegebracht, weil man in den Lagern niemandem wirklich traute. Nicht einmal einem Mann, der den Satz des Heron kannte. Die Idee setzte sich langsam bei mir fest und reifte im Lauf der Wochen zu einem umrisshaften Plan.
    In unserem Lager gab es nur zwei Kameraden, die ich einweihte, Bill Hedges und Jimmy Fleet. Sie sagten mir, dass ich ein Idiot sei, aber sie machten mit. Bill schlief in der Pritsche über mir in der hinteren Ecke der Baracke; er kümmerte sich um den Großteil unserer Täuschung. Er hatte die Aufgabe, Hans wegzuschmuggeln. Den anderen sollte er erzählen, ich sei krank und hätte mich hingelegt.
    Bill hatte vor dem Krieg in einem Eisenwarenladen im Norden gearbeitet; mehr wusste ich nicht über ihn. Ich fürchte, ich bestimmte auch damals, wo es langging, und die meisten neigten dazu, sich zu fügen. Beide hatten geschworen, die Sache geheim zu halten. Wie gesagt, wir trauten niemandem.
    Der Austausch erforderte wochenlange sorgfältige Beobachtung und Planung. Ich studierte die Bewegungen der jüdischen Häftlinge und lernte, ihre Erschöpfung nachzuahmen, ihre gebeugte Haltung, den schlurfenden Gang. Ich übte, in ihren primitiven Holzschuhen zu laufen. Ich wusste, wann und wo sie sich sammelten, um in ihr Lager zurückzukehren.
    Im Tausch gegen Zigaretten beschaffte ich mir ein Paar solcher Pantinen, umwickelte meine Füße mit Lumpen, um die rauen Kanten zu polstern, und übte, in den Dingern umherzuschlurfen. Diese Holzschuhe waren für sich genommen schon Folterinstrument. Sie brachten viele Männer dem Tod ein Stück näher, weil ihnen die Füße darin anschwollen oder sie sich nicht schnell genug bewegen konnten. Ich durfte nicht auffallen.
    Einer der »Gestreiften« verwies mich an einen älteren Kapo, von dem es hieß, er sei weniger brutal als die anderen. Er war untersetzt und hatte ein wettergegerbtes Gesicht. An den Stoppeln konnte man erkennen, dass er in besseren Zeiten schwarzes Haar gehabt hatte. Es gelang mir, ihn mit fünfzig Zigaretten auf meine Seite zu ziehen – fünfundzwanzig sofort und fünfundzwanzig, wenn ich wieder in der Sicherheit des britischen Lagers wäre. Das war zweifellos der riskanteste Teil des Unternehmens. In Auschwitz musste jeder selbst sehen, wie er zurechtkam. Wenn der Kapo sich auch nur den geringsten Vorteil davon versprochen hätte, mich zu verraten – er hätte mich

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