Der Mann, der kein Mörder war
21:29 Uhr an.
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Billy sah, wie Roger mit hängendem Kopf und schleppenden Schritten auf die Kamera zulief. Nach ungefähr fünfzig Metern sah er auf, bog nach rechts ab und verschwand hinter einem parkenden Auto von der Bildfläche.
Billy seufzte. Das Glück war nur von kurzer Dauer gewesen. Auf den Aufnahmen war der Junge am Leben und setzte seinen Weg fort. Was bedeutete, dass auch Billy seine Arbeit fortsetzen und sich noch mehr von Västerås ansehen musste –, ob er wollte oder nicht. Roger ging in Richtung Norden weiter. Billy sah erneut in das Register und glich es mit der Karte ab. Schloss eine Gruppe Kameras aus, die in der falschen Richtung lagen, und suchte von neuem.
Er hasste Västerås wirklich zutiefst.
Lilla Blacken war ein beliebtes Erholungsgebiet, jedenfalls im Sommer. Jetzt wirkte es völlig verlassen. Sie waren eine Weile auf Nebenstraßen herumgekurvt, bevor sie ihr Ziel gefunden hatten. Vor einer vermoderten Anschlagtafel stand ein Renault Mégane. Sebastian stieg aus und ging zu dem verlassenen Auto. Er glaubte, es gesehen zu haben, als sie Ulf vor Beatrices Haus getroffen hatten.
«Willkommen im Erholungsgebiet Lilla Blacken» war auf einem ramponierten Schild an der Tafel zu lesen. Darunter hingen einige Zettel mit Verkaufs- und Tauschangeboten, deren Schrift vom Winterregen verwischt war. Unter anderem ein Angebot für Angelscheine. Er wandte sich an Vanja.
«Ich glaube, hier ist es.»
Sie sahen sich um. Auf einer freiliegenden Wiese, die sich bis zum Wasser erstreckte, wuchsen vereinzelte Laubbäume. Ganz unten am Uferrand stand ein blaues Zelt, das sich leicht im Wind bewegte.
Sie gingen durch das feuchte Gras zum Zelt. Es war ein grauer Tag, doch die Kälte der Nacht war verflogen. Wie immer übernahm Vanja die Führung. Sebastian lächelte, als er darüber nachdachte. Immer die Erste sein, immer das letzte Wort haben. So war Vanja. Genau wie er selbst, als er noch jung und voller Lebenshunger war. Zurzeit begnügte er sich lediglich damit, das letzte Wort zu haben. Als sie näher kamen, sahen sie zwei Menschen auf einem morschen Steg sitzen, der etwas von ihrem Lager entfernt auf das Wasser hinausführte. Anscheinend angelten sie. Dicht nebeneinander. Als Sebastian und Vanja herankamen, erkannten sie Ulf und Johan. Es war das Klischee eines Vater-und-Sohn-Bildes, etwas, was Sebastian selbst nie erlebt hatte.
Ulf und Johan hatten sich warm angezogen, sie trugen Mützen und grüne Gummistiefel, neben ihnen standen einige Eimer, ein Messer und eine Kiste mit Haken und Angelblei. Beide hielten eine Angelrute in der Hand. Während Johan sitzen blieb, stand Ulf auf und ging ihnen entgegen. Mit besorgtem Blick.
«Ist etwas passiert?»
Nach der Schneeschmelze im Frühjahr hatte der Mälarensee einen hohen Wasserpegel, und die Wasseroberfläche reichte gefährlich nahe an den Steg heran. Durch die Ritzen zwischen den Planken drang kaltes Seewasser, als Ulf auf sie zukam. Sebastian blieb stehen, um nicht nass zu werden.
«Wir müssten noch einmal ausführlicher mit Johan sprechen, weil wir einige neue Informationen haben.»
«Aha. Und wir dachten, wir würden hier ein bisschen Ruhe finden. Von allem wegkommen. Die Sache hat ihn schwer getroffen.»
«Ja, das sagten Sie bereits, aber leider müssen wir nochmal mit ihm sprechen.»
«Ist schon gut, Papa.»
Ulf nickte resigniert und trat zur Seite, damit sie den Steg betreten konnten. Johan legte die Angelrute beiseite und erhob sich behäbig, als sie näher kamen. Vanja hatte keine Lust, noch länger zu warten, und fragte im Gehen:
«Johan, hat Roger zusammen mit Axel Johansson Alkohol verkauft?»
Johan verharrte einen Moment und blickte Vanja an. Er sah aus wie ein kleiner Junge in viel zu großen Kleidern. Er war blass geworden und nickte. Ulf zuckte zusammen. Dies war offenkundig neu für ihn.
«Was sagst du da?»
Jetzt blickten drei Erwachsene den Sechzehnjährigen an, der noch blasser wurde.
«Es war von Anfang an Rogers Idee. Er nahm die Bestellungen entgegen. Axel kaufte die Ware ein. Dann verkauften sie das Zeug teurer weiter und teilten den Gewinn.»
Ulf blickte seinen Sohn ernst an.
«Warst du auch daran beteiligt?»
Der Junge schüttelte sofort den Kopf.
«Nein, ich wollte nicht.»
Flehend sah Johan seinen Vater an, der ihn streng musterte.
«Johan, ich verstehe ja, dass du das Gefühl hast, Roger beschützen zu müssen, aber du musst mir und den Polizisten hier jetzt alles erzählen, was du
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