Der Mann, der kein Mörder war
weißt.»
Ulf hatte seinem Sohn den Arm um die Schultern gelegt. «Begreifst du das?»
Johan nickte schweigend. Vanja spürte, dass es an der Zeit war, weiterzufragen.
«Wann fing das an?»
«Irgendwann im Herbst. Roger sprach mit Axel, und plötzlich war die Sache am Laufen. Sie verdienten gut dabei.»
«Was lief dann schief? Warum hat Roger Axel angeschwärzt?»
«Axel wollte das Geld nicht mehr teilen, also fing er an, den Alkohol direkt zu verkaufen. Eigentlich brauchte er Roger ja nicht. Er konnte die Bestellungen selbst aufnehmen.»
«Und daraufhin ist Roger zum Rektor gegangen?»
«Ja.»
«Der Axel Johansson feuerte.»
«Ja, noch am selben Tag.»
«Hat Axel denn nicht gesagt, dass Roger von Anfang an dabei war?»
«Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass Roger es selbst erzählt hat. Dass er anfangs mitgemacht hat, es dann aber bereute und nicht mehr länger dabei sein wollte.»
Die letzten Fragen hatte Sebastian gestellt. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie Roger vor dem pedantischen Rektor stand und den fleißigen und zerknirschten Schüler spielte. Den Mann verpfiff, der ihn betrogen hatte. Roger war berechnender, als er geglaubt hatte. Er zeigte immer wieder neue Facetten von sich. Es war faszinierend.
«Warum hat Roger so etwas gemacht?»
«Er brauchte Geld.»
Ulf fühlte sich gezwungen, einzugreifen. Wahrscheinlich musste er deutlich machen, dass dies nicht für seine eigene Familie galt.
«Wofür brauchte er Geld?»
«Ist dir denn nicht aufgefallen, wie er früher aussah, Papa? Was er für Sachen anhatte, als er auf die Schule kam. Er wollte auf keinen Fall wieder gemobbt werden.»
Eine Weile blieb es still. Dann fuhr Johan fort.
«Verstehen Sie denn nicht? Er wollte einfach nur dazugehören. Er hätte alles dafür getan.»
Roger, der anfangs so konturlose Jugendliche, nahm nach und nach Formen an. Allmählich gelangten seine verborgenen Seiten ans Tageslicht und mit ihnen seine Beweggründe. Ein junger Mensch, der ein anderer hatte sein wollen. Etwas anderes hatte darstellen wollen. Um jeden Preis. Vanja erinnerte sich an ihre Anfangszeit in Uniform zurück. Wie verwundert sie gewesen war, dass dieser Kampf um Anerkennung in Gewalt münden und sogar mit Mord enden konnte. Vanja holte Billys Ausdrucke der SMS von Rogers Handy hervor.
«Wir haben diese SMS in seinem Telefon gefunden.» Vanja reichte die Blätter mit den beiden verzweifelten Nachrichten Johan, der sie aufmerksam las.
«Kannst du dir vorstellen, wer die geschickt hat?»
Johan schüttelte den Kopf.
«Keine Ahnung.»
«Du erkennst die Nummer nicht wieder?»
«Nein.»
«Sicher? Es könnte ziemlich wichtig sein.»
Johan nickte, um zu signalisieren, dass er verstanden hatte, es aber dennoch nicht wusste. Ulf legte erneut den Arm um seinen Sohn.
«Roger und du, ihr hattet in diesem Halbjahr sowieso ein wenig den Kontakt zueinander verloren, war es nicht so?»
Johan nickte erneut.
«Und warum?», fragte Vanja.
«Das weiß man doch. Jungs entwickeln sich in diesem Alter eben ziemlich unterschiedlich.»
Ulf zuckte mit den Schultern, als wolle er unterstreichen, dass dies geradezu ein Naturgesetz war, gegen das man nichts ausrichten konnte. Doch Vanja gab nicht so schnell nach. Diesmal richtete sie ihre Frage noch direkter an Johan.
«Gab es einen Grund dafür, dass ihr nicht mehr so viel miteinander zu tun hattet?»
Johan zögerte, dachte nach und zuckte dann ebenfalls mit den Schultern.
«Er hatte sich irgendwie verändert.»
«Inwiefern?»
«Ich weiß nicht … Am Ende ging es immer nur noch um Geld und Sex.»
«Sex?»
Johan nickte.
«Er sprach die ganze Zeit davon. Es war anstrengend.»
Ulf beugte sich vor und umarmte seinen Sohn. Wie typisch, dachte Sebastian. Die meisten Eltern sahen sich gezwungen, ihre Kinder zu schützen, sobald von Sex die Rede war. Meistens taten sie es nur der umstehenden Zuschauer wegen. Um allen zu zeigen, dass man die Kinder in dieser Familie vor dem Animalischen und Schmutzigen bewahrte. Wenn Ulf wüsste, womit Sebastian und seine Frau gestern Abend beschäftigt gewesen waren, während er bibbernd in einem kalten Zelt gelegen hatte … Wahrscheinlich hätte dieses Wissen die Chancen auf eine konstruktive Vernehmung allerdings deutlich verringert.
Sie unterhielten sich noch einige Minuten mit Johan. Versuchten fieberhaft, weitere Informationen über Roger zu bekommen, doch Johan schien ihnen keine weiteren geben zu können. Er war müde und erschöpft, das sah man ihm an,
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