Der Mann, der kein Mörder war
sie dort oben saß und Privatdetektivin spielte, um der Polizei zu helfen und ein bisschen Spannung in ihr graues, eintöniges Rentnerleben zu bringen. Ebenso vorstellbar war jedoch, dass es dunkel gewesen war und die Alte ziemlich müde und noch dazu halbblind. Vielleicht sogar ein bisschen senil. Er würde irgendwie durchkommen.
«Nein, das war ich nicht.»
Hanser schwieg und beobachtete ihn. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung. Haraldsson ahnte nicht, dass er gerade die ersten Spatenstiche getan hatte, um sich sein eigenes Grab zu schaufeln. Sie sagte nichts mehr, überzeugt davon, dass er weiterhin jegliche Schuld von sich weisen würde.
Haraldsson war peinlich berührt. Er hasste ihren Blick. Er hasste ihr Schweigen, das verriet, dass sie ihm nicht glaubte. Lächelte sie nicht sogar ein wenig? Er beschloss, seinen Trumpf direkt auszuspielen.
«Wie hätte ich denn jemandem hinterherrennen sollen, ich schaffe es ja kaum von hier bis zur Toilette.»
«Wegen deinem Fuß?»
«Genau.»
Hanser nickte. Haraldsson lächelte sie an. Tja, das wäre wohl geklärt. Hanser würde erkennen, wie unwahrscheinlich ihre Behauptung war und wieder gehen. Zu seiner großen Verwunderung blieb sie jedoch in derselben, nach vorn gebeugten Haltung sitzen.
«Was hast du für ein Auto?»
«Warum?»
«Frau Holmin sagte, dass der Mann, der Johansson verfolgte, aus einem grünen Toyota gestiegen sei.»
Okay, dachte Haraldsson, es war an der Zeit, die niedrigeren Karten zu spielen: Nacht, müde, halbblind und senil. Wie weit entfernt vom Haus hatte er gestanden? Zwanzig bis dreißig Meter. Mindestens. Er warf ihr ein entwaffnendes Grinsen zu.
«Nicht dass ich die alte Holmin in Misskredit bringen will, aber wenn das letzte Nacht gewesen sein soll, war es wohl auch dunkel, wie hätte sie da sehen können, was für eine Farbe das Auto hatte, und mal ganz ehrlich, wie alt ist sie? Um die achtzig? Ich habe mit ihr gesprochen, und sie wirkte recht senil. Es würde mich doch sehr wundern, wenn eine wie sie verschiedene Automarken voneinander unterscheiden könnte.»
«Der Wagen stand unter einer Straßenlaterne, und obendrein hatte sie ein Fernglas.»
Hanser lehnte sich zurück und betrachtete Haraldsson. Sie konnte förmlich sehen, wie sein Gehirn arbeitete. Wie wenn sich in einem Zeichentrickfilm die Zahnräder immer schneller drehten. Sie war ein wenig erstaunt, spätestens jetzt musste er doch erkennen, worauf sie hinauswollte.
«Ich bin ja wohl nicht der Einzige, der einen grünen Toyota fährt. Wenn es tatsächlich einer war.»
Nein, bist du nicht, dachte Hanser und staunte noch mehr. Haraldsson schaufelte nicht nur weiter an seinem Grab, er sprang auch noch selbst in die Grube hinein und schüttete sie zu.
«Sie hat sich das Kennzeichen aufgeschrieben. Und das hat kein Zweiter.»
Haraldsson blieb stumm. Ihm fiel nichts mehr ein. Vollkommene Leere. Hanser beugte sich noch weiter über den Schreibtisch.
«Jetzt weiß Axel Johansson, dass wir ihn suchen, und wird sich vermutlich noch besser verstecken.»
Haraldsson versuchte zu antworten, doch es drang kein Wort aus seinem Mund, nichts. Seine Stimmbänder gehorchten ihm nicht mehr.
«Ich muss die Reichsmordkommission darüber informieren. Es – ist –
ihr
– Fall. Das sage ich so deutlich, weil du es anscheinend noch immer nicht begriffen hast.»
Hanser erhob sich und blickte auf Haraldsson herab, dessen Blick flackerte. Wäre es nicht eine so grobe Verfehlung gewesen und – wenn sie ehrlich war – wäre es nicht Haraldsson gewesen, hätte er ihr fast ein bisschen leidgetan.
«Wir müssen auch noch darüber reden, wo du wirklich warst, als du in Listakärr verschwunden bist. Desiré Holmin erzählte, dass der Mann, der Axel hinterherjagte, keineswegs hinkte. Ganz im Gegenteil. Richtig schnell sei er gewesen.»
Hanser drehte sich um und ging. Haraldsson sah ihr mit leerem Blick nach. Wie hatte es so weit kommen können? Er wollte doch nur irgendwie durchkommen. Schadensbegrenzung war offensichtlich die schlechteste Option gewesen. Und für das, was er gerade angerichtet hatte, gab es keine Worte. Die Dankesrede des Polizeidirektors war in weite Ferne gerückt. Haraldsson spürte, wie sich die Abwärtsspirale seines Lebens immer schneller drehte und immer steiler wurde. Und wie er fiel. Kopfüber.
Ursula kannte Sundstedt noch von früher. Eine Zeitlang war er staatlicher Untersuchungskommissar für Unfallkatastrophen gewesen, bevor er sich erneut bei
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