Der Mann, der kein Mörder war
nichts ändern. Hanser glättete ihre Bluse, richtete sich auf und ging die Treppen hinunter, die in den Eingangsbereich führten. Vor der letzten verschlossenen Tür, die den Empfang von den Innenräumen des Präsidiums trennte, blieb sie stehen. Durch das feine Karomuster des Sicherheitsglases sah sie Torkel Höglund mit den Händen auf dem Rücken gemächlich auf und ab gehen. In der grünen Sitzecke am Fenster zur Straße saßen ein Mann und eine Frau, beide jünger als Hanser. Torkels Kollegen, vermutete sie, als sie den Öffner drückte und die Tür aufmachte. Torkel drehte sich um, als er das Schloss klicken hörte, und lächelte, als er sie erblickte.
Plötzlich war Hanser verunsichert. Was war angemessen? Eine Umarmung oder ein kollegialer Handschlag? Sie hatten gemeinsam einige Seminare besucht, waren ein paarmal zusammen Essen gegangen und sich auf einigen Fluren begegnet. Aber Hansers Überlegungen waren überflüssig. Torkel ging auf sie zu und umarmte sie freundschaftlich. Dann drehte er sich zu den beiden anderen um, die sich inzwischen vom Sofa erhoben hatten, und stellte sie vor. Hanser begrüßte sie.
«Es tut mir furchtbar leid, aber ich habe es etwas eilig, ich bin gerade auf dem Weg in die Rechtsmedizin.»
«Der Junge?»
«Ja.»
Hanser wandte sich an die Empfangsdame.
«Haraldsson?»
«Müsste unterwegs sein. Ich habe ihn sofort angerufen, nachdem ich mit Ihnen gesprochen habe.» Hanser nickte und warf erneut einen hastigen Blick auf die Uhr. Sie durfte nicht allzu spät kommen. Sie sah kurz zu Vanja und Billy, wandte sich dann aber Torkel zu, als sie sprach.
«Haraldsson hat die Ermittlungen bisher geleitet.»
«Ja, ich habe seinen Namen in den Unterlagen gelesen.»
Hanser stutzte. Hatte sie eine Spur von Herablassung in Torkels Stimme vernommen? Falls ja, verriet sein Gesicht nichts davon.
Wo steckte Haraldsson eigentlich schon wieder? Hanser wollte gerade ihr Handy herausholen, als erneut das Schloss der Tür klickte, durch die sie selbst gerade gekommen war, und Haraldsson schwer hinkend die Empfangshalle betrat. Er nahm sich provozierend viel Zeit. Immerhin erreichte er am Ende doch noch sein Ziel und begrüßte die Neuankömmlinge.
«Was haben Sie denn angestellt?» Torkel deutete auf Haraldssons rechten Fuß.
«Ich habe ihn mir verstaucht, als wir auf der Suche nach dem Jungen den Wald durchkämmt haben. Deshalb war ich nicht vor Ort, als man ihn fand.» Seinen letzten Satz richtete er mit einem kurzen Blick an Hanser.
Sie glaubte ihm nicht, das wusste er. Also durfte er in nächster Zeit das Hinken nicht vergessen. Sie würde doch wohl nicht im Krankenhaus nachfragen? Wenn sie es tat, würde man ihr dort sicherlich keine Auskunft über ihn geben; müsste das nicht unter irgendeine Art von Schweigepflicht oder Patientenschutz fallen? Arbeitgeber hatten hoffentlich keinen Anspruch darauf, die Patientenakten ihrer Angestellten einzusehen? Oder doch? Er musste sich bei der Gewerkschaft über die Rechtslage erkundigen. Haraldsson war so tief in seine eigenen Gedanken versunken, dass er seiner Chefin eine Weile lang nicht zugehört hatte. Jetzt bemerkte er, dass sie ihn ernst ansah.
«Torkel und sein Team übernehmen die Ermittlung.»
«An Ihrer Stelle?» Haraldsson war ehrlich verwundert. Das hatte er nicht erwartet. Plötzlich erschien alles in einem etwas helleren Licht. Das waren echte Polizisten, genau wie er. Keine Frage, dass sie seine Arbeit mehr schätzen würden als diese Schreibtischjuristin, die er zur Chefin hatte.
«Nein, ich bin noch immer die Hauptverantwortliche, aber die Reichsmordkommission wird mit sofortiger Wirkung den operativen Teil der Ermittlung leiten.»
«Mit mir zusammen?»
Hanser seufzte innerlich und betete stumm, dass Västerås nicht von einer Serie von Verbrechen heimgesucht werden würde. Dann hätten sie keine Chance.
Vanja warf Billy einen amüsierten Blick zu. Torkel lauschte dem Gespräch, ohne eine Miene zu verziehen. Die lokale Polizei vorzuführen oder lächerlich zu machen war der denkbar schlechteste Beginn einer Zusammenarbeit. Torkel hatte noch nie viel davon gehalten, anderen ins Revier zu pinkeln. Es gab andere Möglichkeiten, das Beste aus allen herauszuholen.
«Nein, sie werden die Verantwortung für die Ermittlungen voll und ganz übernehmen. Dir wird diese Aufgabe entzogen.»
«Aber wir würden eine enge Zusammenarbeit natürlich sehr begrüßen», schaltete Torkel sich ein und sah Haraldsson ernst an. «Sie haben
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