Der Mann, der kein Mörder war
Essensbegleitung.
Torkel schaltete die Neonröhre aus und verließ den Konferenzraum. Wie immer war er der Letzte im Haus, stellte er fest, als er durch die leeren Büros ging. Kein Wunder, dass all seine Frauen irgendwann die Nase voll gehabt hatten.
E s war bereits dunkel, als Sebastian das Taxi bezahlte und ausstieg. Der Fahrer verließ den Wagen ebenfalls, öffnete den Kofferraum, hob Sebastians Koffer heraus und wünschte ihm einen schönen Abend. Einen schönen Abend in seinem Elternhaus? Tja, einmal war immer das erste Mal, dachte Sebastian, und die Tatsache, dass beide Eltern nun tot waren, erhöhte die Chancen enorm.
Sebastian überquerte die Straße, und das Taxi, das in der Auffahrt des Nachbarn gewendet hatte, fuhr hinter ihm vorbei. Er blieb vor dem niedrigen, weißen Zaun stehen, der einen Anstrich nötig hatte, und sah, dass der Briefkasten überquoll. Ging denn nicht irgendeine zentrale Todesbenachrichtigung raus, die alles stoppte, wenn man verstorben war? Offenbar nicht.
Als Sebastian vor einigen Stunden Västerås erreicht hatte, war er gleich zum Bestattungsinstitut gefahren und hatte den Haustürschlüssel abgeholt. Anscheinend hatte sich eine von Mutters ältesten Freundinnen um die Beerdigung gekümmert, nachdem er sich geweigert hatte. Berit Holmberg. Sebastian konnte sich nicht erinnern, den Namen jemals gehört zu haben. Das Bestattungsinstitut hatte ihm angeboten, eine Art Fotoalbum von der Zeremonie anzusehen, die sehr schön, stimmungsvoll und gut besucht gewesen sei. Sebastian hatte abgelehnt.
Dann war er essen gegangen. Hatte gut und ausgiebig gespeist, war anschließend noch sitzen geblieben und hatte ein Buch gelesen und Kaffee getrunken. Er hatte die Visitenkarte der lesenden Frau aus dem Zug in der Hand gedreht und gewendet, dann aber beschlossen, noch zu warten. Morgen oder Übermorgen würde er anrufen. Interessiert, aber nicht verzweifelt, das war immer die beste Kombination. Nach dem Essen hatte er einen Spaziergang gemacht. Überlegt, ins Kino zu gehen, sich aber dagegen entschieden. Kein Film im Programm hatte ihn gereizt. Am Ende konnte er seine wahre Verpflichtung in Västerås nicht länger aufschieben und rief sich ein Taxi.
Nun stand er auf der Straße und betrachtete das Haus, das er am Tag nach seinem neunzehnten Geburtstag verlassen hatte. Auf beiden Seiten der mit Steinen gepflasterten Zufahrt wuchsen gepflegte Rabatten. Zurzeit standen dort hauptsächlich akkurat gestutzte Buchsbäume, doch schon bald würden die Mehrjährigen blühen. Seine Mutter hatte ihren Garten sehr geliebt und gepflegt. Hinter dem Haus gab es Obstbäume und Gemüsebeete. Der Steinweg endete an einem zweistöckigen Einfamilienhaus. Sebastian war zehn Jahre alt gewesen, als sie hier einzogen. Damals war es gerade neu erbaut worden. Sogar im schwachen Schein der Straßenlaterne sah Sebastian, dass es jetzt einer Renovierung bedurfte. Der Putz bröckelte von der Fassade, an den Fensterrahmen blätterte die Farbe ab, und an zwei Stellen hatte das Dach dunkle Schatten, vermutlich, weil Dachziegel fehlten. Sebastian überwand seinen physischen Widerwillen, das Haus zu betreten, und ging die letzten Schritte zur Eingangstür.
Er schloss auf und betrat den Flur. Es war stickig. Drückend. Sebastian stellte seinen Koffer ab und blieb unter dem Türbogen stehen, der in die Wohnräume führte. Direkt dahinter stand ein Esstisch, und weiter rechts begann das Wohnzimmer. Sebastian bemerkte, dass eine Wand entfernt worden war und das Untergeschoss nun das war, was man eine offene Wohnlösung nannte. Er ging weiter. Nur einen Bruchteil der Möbel erkannte er wieder. Eine Kommode von seinem Großvater und einige der Gemälde an der Wand wirkten vertraut, die Tapeten dahinter dagegen vollkommen unbekannt. Genau wie das Parkett. Wie lange war er nicht mehr hier gewesen? Sebastian weigerte sich, das Haus als ein «Zuhause» zu betrachten. Seine Möbel waren abgeholt worden, als er neunzehn war, aber er war danach noch mehrmals zu Besuch gekommen. Hatte vergeblich die Hoffnung genährt, dass seine Eltern und er sich wieder normal begegnen könnten, wenn alle erwachsen waren. Aber nein. Er erinnerte sich daran, dass er in der Woche nach seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag hier gewesen war. War es das letzte Mal gewesen? Vor bald dreißig Jahren? Kein Wunder, dass er nichts wiedererkannte.
An der Schmalseite des Wohnzimmers befand sich eine geschlossene Tür. Als Sebastian noch hier gewohnt hatte, war
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