Der Mann, der kein Mörder war
leid.»
«Ja. Ansonsten alles wie immer. Ich bin immer noch da. Bei der Reichsmordkommission.»
«Ja, das sagtest du bereits.»
«Ja …»
Erneutes Schweigen. Ein weiterer Schluck Kaffee. Wieder eine Rettungsinsel, der kleinste gemeinsame Nenner: die Arbeit.
«Habt ihr denn was bei den Lundins gefunden?»
«Selbst wenn es so wäre, dürfte ich es dir nicht erzählen.»
«Nein, schon klar. Eigentlich interessiert es mich auch gar nicht. Ich wollte nur ein bisschen plaudern.»
Hatte Sebastian da etwa einen Anflug von Enttäuschung in Torkels Gesicht beobachtet? Was auch immer es gewesen war, es war sofort verschwunden, und Torkel warf einen kurzen Blick auf die Uhr und streckte sich.
«Ich muss los.» Er stellte die halbvolle Tasse neben die Spüle. «Danke für den Kaffee.»
Sebastian begleitete ihn in den Flur hinaus. Er lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand und sah zu, wie Torkel einen Schuhlöffel vom Haken nahm und in seine Slipper schlüpfte, die er auf der Fußmatte ausgezogen hatte. Plötzlich sah Sebastian einen etwas ergrauten, älteren Herrn, einen alten Freund, der es nur gut gemeint hatte und den Sebastian ziemlich brüsk abgewiesen hatte.
«Ich hätte ja mal eine Postkarte schreiben können, oder so.»
Torkel unterbrach seine Schuhprozedur und sah Sebastian erstaunt an.
«Wie bitte?»
«Ich meine, falls du der Meinung bist, es wäre deine Schuld, dass wir den Kontakt verloren haben. Deshalb sagte ich, dass ich mich ja auch hätte melden können, wenn ich geglaubt hätte, dass es wichtig gewesen wäre.»
Torkel brauchte einige Sekunden, um Sebastians Worte zu verarbeiten, während er den Schuhlöffel an seinen Platz zurückhängte.
«Ich bin eigentlich nicht der Meinung, dass es meine Schuld war.»
«Gut.»
«Jedenfalls nicht ausschließlich.»
«Na dann.»
Mit der Hand auf dem Türgriff hielt Torkel einen Moment inne. Sollte er etwas sagen? Sollte er Sebastian erklären, dass es nicht unbedingt tröstlich war, wenn jemand einem sagte, dass er der Meinung sei, die Freundschaft sei ohnehin unwichtig und sie aufrechtzuerhalten wertlos gewesen? Auch wenn es nicht so gemeint war? Sollte er das sagen? Er verdrängte den Gedanken. Eigentlich hätte er sich nicht einmal wundern dürfen. Sie hatten früher oft darüber gescherzt, dass Sebastian für einen Psychologen erstaunlich wenig Verständnis für die Gefühle anderer Menschen aufbrachte. Sebastian hatte immer damit gekontert, dass das Verständnis für die Gefühle anderer Menschen eine überschätzte Eigenschaft sei. Die Antriebskräfte seien das Interessante, nicht die Gefühle, die seien lediglich Abfallprodukte, pflegte er damals zu sagen. Torkel musste bei der Vorstellung innerlich grinsen, dass auch er in diesem Moment vermutlich nur ein Abfallprodukt in Sebastians Erinnerung war.
«Bis bald», sagte er und öffnete die Tür.
«Vielleicht.»
Torkel ließ die Tür hinter sich zuschlagen. Er hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde. Dann ging er los, in der Hoffnung, dass Ursula mit dem Auto auf ihn gewartet hatte.
Vor dem Polizeipräsidium sprang er aus dem Wagen. Ursula fuhr weiter, um einen Parkplatz zu suchen. Sie hatten während der ganzen Fahrt nicht über Sebastian gesprochen. Torkel hatte einen Versuch unternommen, doch Ursulas Reaktion darauf war so unmissverständlich gewesen, dass sie den Rest des Weges nur noch über den Fall diskutiert hatten. Die vorläufige Laboranalyse des blutigen T-Shirts war abgeschlossen, und Ursula bekam per Handy Bescheid, dass sich auf dem Kleidungsstück ausschließlich Blutspuren von einer Person befanden. Roger Eriksson. Leider passte die Menge des Blutes viel weniger zu einer in blinder Wut ausgeführten Messerattacke als zu Leos Erklärung, dass die beiden sich geprügelt hätten.
Außerdem hatte sich das anfänglich so freche Auftreten des Jungen während der letzten Verhöre zunehmend in Schluchzen und Geheul verwandelt. Torkel fiel es daher immer schwerer, sich vorzustellen, dass diese jämmerliche Figur zu etwas so Durchdachtem und Geplanten in der Lage gewesen sein sollte, wie eine Leiche in einem Tümpel zu entsorgen. Mit einem Auto, das Leo nicht besaß. Nein, trotz der Blutspuren schien es einfach unrealistisch.
Dennoch waren sie noch nicht bereit, die Akte Leonard ganz zu schließen. Im Zuge dieser Ermittlung waren schon zu viele Fehler begangen worden. Sie würden Leonard noch eine Nacht dabehalten. Wenn sie keine weiteren Beweise gegen ihn fanden,
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