Der Mann, der kein Mörder war
angezeigt, aber Sie können in der Schule nachfragen. Er war es. Ich weiß, dass er es war.»
Torkel konnte ihre Überzeugung und Hartnäckigkeit nachvollziehen. Das hatte er schon so oft erlebt. Diesen Willen – eine Lösung zu finden, aber auch tieferes Verständnis. Der Plagegeist, der Peiniger ihres Sohnes, war zu weit gegangen. Das wäre verständlich und greifbar. Das würde die Wirklichkeit wieder etwas realer erscheinen lassen. Er wusste auch, dass sie in ihrem Gespräch nicht weiterkommen würden, legte seine Hand auf Lenas Arm und lenkte sie sanft und fast unmerklich zum Ausgang.
«Wir werden sehen, was unsere Ermittlungen ergeben. Ich werde Sie über alles auf dem Laufenden halten.»
Lena nickte und bewegte sich nun wie ferngesteuert von selbst auf die Glastüren zu. Doch dann hielt sie inne.
«Da ist noch was.»
Torkel ging wieder zu ihr.
«Ja?»
«Die Zeitungen rufen an.»
Er seufzte. Natürlich. In ihren schwersten Stunden, wenn sie am wehrlosesten war. Es spielte keine Rolle, wie häufig die Presse sich selbst einer kritischen Prüfung unterzog, nachdem sie wieder einmal Interviews mit Menschen veröffentlicht hatte, die aus dem Gleichgewicht geraten waren und ganz offensichtlich nicht mehr wussten, worauf sie sich einließen. Menschen, die unter Schock standen und trauerten. Es war wie ein Naturgesetz: Ein Kind wird ermordet – die Zeitungen rufen an.
«Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten, die in einer Situation wie der Ihren mit der Presse reden, es später bereuen», sagte Torkel ehrlich. «Sie müssen nicht antworten, Sie können die Reporter gern an uns verweisen.»
«Aber sie wollen ein exklusives Interview, und sie würden auch dafür zahlen. Ich wollte eigentlich nur fragen, ob Sie vielleicht wissen, was man da so verlangen kann?»
Torkel machte ein Gesicht, das Lena so auffasste, als habe er sie nicht richtig verstanden. Das hatte er auch nicht, aber auf eine andere Weise, als sie glaubte.
«Ich dachte, weil Sie so was doch schon öfter erlebt haben. Was halten Sie denn für angemessen?»
«Ich weiß nicht.»
«Ich hatte noch nie mit der Presse zu tun, in welcher Größenordnung bewegen wir uns? Tausend? Fünftausend? Fünfzehntausend?»
«Ich weiß es wirklich nicht. Mein Rat wäre, überhaupt nicht mit Journalisten zu sprechen.»
Lena sah ihn mit einer Miene an, die deutlich machte, dass genau dieser Vorschlag für sie keine Alternative war.
«Das habe ich ja bisher auch nicht. Aber jetzt wollen sie etwas zahlen.»
Torkel versuchte, sich in ihre Lage hineinzuversetzen. Offenbar brauchte sie Geld. Offenbar wollte sie seine moralischen Bedenken und seine erfahrungsbasierte Fürsorge nicht. Sie wollte ein Preisschild. Besaß er wirklich das Recht, darüber zu urteilen? Wie lange war es her, dass er dringend Geld gebraucht hatte? War er überhaupt schon einmal in einer solchen Lage gewesen?
«Das können Sie handhaben, wie Sie wollen. Aber passen Sie auf sich auf.» Lena nickte, und zu seiner eigenen Verwunderung hörte Torkel sich noch sagen: «Verkaufen Sie sich so teuer wie möglich.»
Lena nickte erneut, lächelte, drehte sich um und ging. Torkel blieb einige Sekunden stehen und sah ihr nach, wie sie sich in der Frühlingssonne auf der Straße vor dem Fenster entfernte. Dann versuchte er, die Gedanken an ihren Besuch abzuschütteln, er wollte zu seiner Arbeit und seinen Kollegen zurückzukehren.
Aber die Belastungsproben nahmen kein Ende.
Haraldsson kam auf ihn zugehumpelt. Sein ernster Blick verriet Torkel, dass er reden wollte. Und zwar über das Thema, das Torkel schon lange vor sich herschob. Das zu klären Vanja ihn nun schon zum dritten Mal gebeten hatte.
W as würdest du darunter verstehen, wenn jemand zu dir sagt, dass man in enger Abstimmung miteinander arbeiten wird?»
Haraldsson lag auf dem Rücken in seiner Betthälfte, hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und starrte in die Luft. Neben ihm lag Jenny, die Fußsohlen in die Matratze gestemmt, zwei Kissen unter dem Po. Hin und wieder streckte sie ihren Unterleib der Zimmerdecke entgegen, die ihr Mann mit leeren Augen fixierte. Es war 22:30 Uhr.
Sie hatten miteinander geschlafen, oder besser gevögelt. Eigentlich nicht einmal das, wenn Haraldsson ganz ehrlich war. Er hatte pflichtschuldig seinen Samen in seiner Ehefrau entleert, während er mit den Gedanken ganz woanders gewesen war. Bei der Arbeit.
Er hatte Torkel Höglund von Hansers Versuch berichtet, ihn von den Ermittlungen
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