Der Mann, der kein Mörder war
Jacke mitnehmen, wenn er das Portemonnaie und das Handy dalässt? Das passt nicht zusammen.»
«Sebastian hat recht.» Nun blickten alle Ursula an. Sebastian sah dabei aus, als könne er nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Diese drei Worte hatte Ursula in ihrem bisherigen Leben noch nicht oft gesagt. Eigentlich konnte Sebastian sich aus dem Stegreif an kein einziges Mal erinnern.
«Es fällt mir zwar schwer, das zu sagen, aber so ist es.» Ursula stand auf und zog zwei Fotos aus einem Umschlag.
«Ich weiß, dass ihr glaubt, ich hätte die Jacke beim ersten Mal übersehen. Aber seht mal her.» Sie legte eines der Bilder auf den Tisch. Alle beugten sich vor.
«Als ich die Garage gestern untersucht habe, interessierte ich mich vor allem für drei Dinge: für das Moped natürlich, für den Abfluss und ob darin Blutspuren zu finden wären, also jemand das Moped oder eine Waffe dort abgewaschen hat, und zuletzt für die Gartengeräte, weil wir die Mordwaffe bisher nicht gefunden haben. Dieses Bild habe ich gestern aufgenommen.»
Sie tippte mit dem Finger auf das Foto, das die Gartengeräte in ihrem Holzgestell in der Garage zeigte. Das Bild war von schräg oben aufgenommen, und der weiße Eimer mit dem Granulat war deutlich in der einen Ecke sichtbar.
«Dieses Bild habe ich heute aufgenommen. Findet den Fehler!» Ursula legte das zweite Bild auf den Tisch. Fast identisch mit dem ersten. Doch hier sah man den grünen Stoff an mehreren Stellen deutlich durch die dünne Granulatschicht schimmern. Einen Moment lang herrschte Stille im Raum.
«Jemand hat die Jacke in der Nacht dort versteckt.» Billy sprach zuerst aus, was alle dachten. «Um den Verdacht auf Leo Lundin zu lenken.»
«Aber das ist nicht sein Hauptgrund.» Sebastian ertappte sich dabei, dass er die Bilder mit einem gewissen Interesse betrachtete. Was gerade passierte, war wie eine Energiespritze für ihn. Der Mörder hatte dem Opfer Dinge weggenommen und setzte sie nun gezielt ein, um falsche Spuren zu legen. Und zwar nicht irgendwo, sondern beim Hauptverdächtigen in den Ermittlungen. Das bedeutete, dass er die Arbeit der Polizei genau verfolgte und dementsprechend handelte, geplant und überlegt. Anscheinend verspürte er nicht einmal Reue. Ein Mann ganz nach Sebastians Geschmack.
«Er will den Verdacht von sich selbst ablenken, das ist sein Hauptgrund, die Jacke in die Garage zu legen. Er hat nichts gegen Leo persönlich, er passte einfach nur gerade gut, weil wir ihn sowieso schon im Visier hatten.»
Torkel betrachtete Sebastian mit einer gewissen Zufriedenheit. Der Zweifel, den er zuvor verspürt hatte, war schwächer geworden. Torkel kannte Sebastian besser, als dieser glaubte. Er kannte die Unfähigkeit des Kollegen, sich für etwas zu engagieren, das ihn nicht interessierte. Aber er wusste auch, wie gefesselt Sebastian sein konnte, wenn er auf eine Herausforderung stieß, und welche Bereicherung er dann für die Ermittlungen darstellte. Torkel hatte das Gefühl, dass sie auf einem guten Weg waren. Im Stillen dankte er für die Mail und den Fund der Jacke.
«Also ist derjenige, der die Mail geschickt hat, vermutlich der Mörder.»
Vanja zog schnell die richtigen Schlüsse.
«Wir müssen versuchen, sie rückzuverfolgen. Herausfinden, wo sie herkommt.»
Es war wie in einer Theatervorführung. Ein vorsichtiges Klopfen an der Tür: Auftritt Haraldsson. Als ob er draußen auf sein Stichwort gewartet hätte, um die Bühne zu betreten.
Jetzt löste Sebastian den Sicherheitsgurt und stieg aus dem Auto. Er blickte zur Fassade des Gebäudes hoch, vor dem sie parkten, und wurde von einer enormen Müdigkeit überwältigt.
«Diese Schule hat er also besucht?»
«Ja.»
«Armer Teufel. Können wir einen Selbstmord denn völlig ausschließen?»
Über dem Eingang des Palmlövska-Gymnasiums befand sich ein riesiges Wandgemälde, das unzweifelhaft Jesus darstellte. Er breitete die Arme in einer Geste aus, die der Künstler sicherlich einladend gemeint hatte. Sebastian empfand sie als bedrohlich oder gar freiheitsberaubend. Unter dem Bild stand: «Joh 12,46».
«Ich bin als Licht in die Welt gekommen, auf dass jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe», leierte Sebastian herunter.
«Du kennst die Bibel auswendig?»
«Nein, aber das.»
Sebastian nahm die letzten Treppenstufen und öffnete eine der beiden Flügeltüren. Vanja warf einen letzten, kurzen Blick auf das gewaltige Gemälde und folgte ihm dann.
Rektor
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