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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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Beatrice Strand unterrichtete. Auf dem Weg dorthin hatte er beschlossen, nichts zu empfinden. Die Schule war lediglich ein Gebäude. Ein Gebäude, in dem er unter Protest drei Jahre seines Lebens zugebracht hatte. Sein Vater hatte ihn gezwungen, auf die Palmlövska zu gehen, als er ins Gymnasium kam, und Sebastian hatte sich bereits am ersten Tag vorgenommen, sich dort nicht wohlzufühlen. Nicht hinzupassen. Er hatte jede nur denkbare Regel verletzt und war in seiner Eigenschaft als Rektorensohn eine Herausforderung für jeden Lehrer und jede Respektsperson gewesen. Sein Verhalten hätte ihm einen gewissen Status bei den anderen Schülern einbringen können, doch er hatte sich entschieden, dass
nichts
an seinen Jahren auf dieser Schule positiv sein sollte. Er hatte daher keine Sekunde lang gezögert, die anderen Schüler zu verpfeifen und gegeneinander oder gegen die Lehrer auszuspielen. Das führte zu einer extremen Unbeliebtheit bei allen und zu einem Außenseiterstatus, den Sebastian sehr begrüßte. Er dachte, er könnte seinen Vater bestrafen, indem er sich systematisch von allem und allen entfremdete. Und es war nicht zu verleugnen, dass ihm seine totale Ausgeschlossenheit eine neue Form von Freiheit gab. Man erwartete von ihm nur noch, dass er immer das tat, was ihm gerade in den Sinn kam. Und das konnte er zunehmend besser.
    Diesen Weg, den er als Jugendlicher eingeschlagen hatte, hatte er für den Rest seines Lebens nicht mehr verlassen. My way or the highway, sein ganzes Leben lang. Nein, nicht das ganze. Nicht mit Lily. Mit ihr war es nicht so gewesen. Wie war es eigentlich möglich, dass ein Mensch – und später sogar zwei – einen solchen Einfluss auf sein Leben genommen hatte? Ihn so von Grund auf geändert hatte? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass es passiert war. Es war passiert, und anschließend hatte man ihm alles wieder genommen.
    Er klopfte an der hellbraunen Tür und trat ein. Eine etwa vierzigjährige Frau saß hinter dem Lehrerpult. Sie hatte dickes, rotes Haar, das im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Kein Make-up auf dem sommersprossigen, offenen Gesicht. Eine dunkelgrüne Bluse, die über nicht gerade unansehnlichen Brüsten zusammengeknöpft war. Dazu ein langer, brauner Rock. Mit einem fragenden Blick musterte sie Sebastian, der sich vorstellte und der Klasse für den Rest der Stunde freigab. Beatrice Strand erhob keinen Einspruch.
    Jetzt waren sie allein im Klassenraum, und Sebastian zog einen Stuhl aus einer der vorderen Reihen heran und setzte sich. Er bat sie, von Roger zu erzählen, wartete auf ihren Gefühlsausbruch, den er bereits kommen sah. Und richtig. Beatrice war gezwungen, vor den Schülern die Starke zu spielen, die alle Fragen beantworten konnte, diejenige zu sein, die für Sicherheit und Normalität sorgte, wenn das Unbegreifliche eintraf. Doch jetzt war sie mit einem anderen Erwachsenen allein. Einem, der in dem Fall ermittelte und damit die Rolle von Sicherheit und Kontrolle übernahm. Jetzt brauchte sie nicht die Starke zu mimen. Sebastian brauchte nur abzuwarten, bis es aus ihr herausbrach.
    «Ich kann es einfach nicht verstehen …» Zwischen ihren Schluchzern presste Beatrice die Worte hervor. «Am Freitag haben wir uns wie immer verabschiedet, und jetzt … wird er nie wieder zurückkommen. Wir hatten bis zuletzt gehofft, aber dann, als sie ihn fanden …»
    Sebastian sagte nichts. Es klopfte an der Tür, Vanja steckte den Kopf herein. Beatrice schnäuzte sich und trocknete ihre Tränen, während Sebastian die Frauen einander vorstellte. Beatrice deutete mit dem Taschentuch auf ihr tränenüberströmtes Gesicht, entschuldigte sich, stand auf und verließ den Raum. Vanja setzte sich auf die Kante eines Pultes.
    «Die Schule überwacht den Datenverkehr nicht, und es sind nirgendwo Kameras installiert. Das gebühre der gegenseitige Respekt, sagt der Rektor.»
    «Also kann jeder die Mail geschickt haben?»
    «Es muss nicht einmal ein Schüler gewesen sein. Jeder kann von der Straße aus einfach hereinkommen.»
    «Aber es muss jemand gewesen sein, der sich ein bisschen in der Schule auskennt.»
    «Schon, aber das sind zweihundertachtzehn Schüler plus Eltern plus Freunde plus das gesamte Lehrerkollegium und Personal.»
    «Das wusste er.»
    «Wer?»
    «Derjenige, der die Mail verschickt hat. Er wusste, dass man ihn unmöglich weiter als bis hierher zurückverfolgen kann. Aber er ist schon einmal hier gewesen. Er hat irgendeine Verbindung zu dieser

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