Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
Vom Netzwerk:
Ragnar Groth wies mit der Hand auf ein Zweisitzersofa und einen Sessel in einer Ecke seines Büros. Vanja und Sebastian nahmen Platz. Groth selbst öffnete sein Sakko und ließ sich hinter einem altmodischen, rustikalen Schreibtisch nieder. Ohne sich dessen bewusst zu sein, rückte er einen Stift zurecht, bis dieser exakt parallel zur Tischkante lag. Sebastian bemerkte es und ließ seinen Blick schweifen, zunächst über den Schreibtisch. Der Arbeitsplatz des Rektors war nahezu leer. Links von ihm lag ein Stapel Plastikmappen. Kante an Kante. Keine Mappe ragte auch nur einen Millimeter hervor. Sie lagen so in der Ecke, dass rechts und links davon genau zwei Zentimeter frei waren. Rechts vor Ragnar Groth lagen drei Stifte, zwei Füllfederhalter und ein Bleistift, parallel zueinander, die Spitzen in eine Richtung zeigend, darüber in geradem Winkel ein Lineal und ein Radiergummi, die beide unbenutzt aussahen. Telefon, Computer und Lampe waren akkurat an den Ecken des Schreibtischs und aneinander ausgerichtet.
    Sebastians Blick wanderte weiter durch den Raum. Alles war im selben Stil gehalten. Keine Gemälde, die schief hingen. Keine Notizzettel, alles an der Pinnwand ordentlich und in gleichem Abstand zueinander aufgehängt, die Buchrücken schlossen genau mit dem Rand des Bücherregals ab. Ein Tisch ohne den kleinsten Abdruck von Kaffeetassen oder Wassergläsern. Auch die Möbel standen zentimetergenau im Verhältnis zur Wand und dem darunterliegenden Teppich. Sebastian stellte sofort eine Diagnose über Rektor Groth: ein Pedant mit Neigung zu Zwangshandlungen.
    Der Rektor hatte Vanja und Sebastian mit ernster Miene vor seinem Zimmer empfangen und sie mit einer lächerlich gerade ausgestreckten Hand begrüßt. Dann hatte er zu einem langen Sermon darüber angesetzt, wie furchtbar es sei, dass man einen Schüler dieser Schule ermordet aufgefunden hatte. Natürlich würden alle ihr Bestes tun, um bei der Aufklärung dieses abscheulichen Verbrechens behilflich zu sein. Sie würden der Polizei keinerlei Hindernisse in den Weg legen. Absolute Kooperationsbereitschaft. Vanja konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Worte des Rektors wie ein für Krisenfälle auswendig gelernter PR -Text klangen. Der Rektor bot ihnen Kaffee an. Vanja und Sebastian lehnten dankend ab.
    «Was wissen Sie über unsere Schule?»
    «Genug», sagte Sebastian.
    «Nicht viel», sagte Vanja.
    Groth lächelte Sebastian entschuldigend zu und wandte sich an Vanja.
    «In den fünfziger Jahren haben wir als Internat begonnen, jetzt sind wir ein privates Gymnasium mit gesellschaftskundlicher und naturwissenschaftlicher Ausrichtung und unterschiedlichen Schwerpunkten: Sprachen, Wirtschaft und Unternehmensführung. Wir haben zweihundertachtzehn Schüler. Jugendliche aus ganz Mälardalen und sogar aus Stockholm besuchen unsere Schule. Deshalb haben wir den Internatsteil auch beibehalten.»
    «Damit sich die Kinderchen der Reichen nicht unter den Pöbel mischen müssen.»
    Groth wandte sich wieder Sebastian zu, und obwohl seine Stimme tief und wohlmoduliert blieb, konnte er seine Irritation nicht ganz verbergen.
    «Unser Ruf als Schule für die Oberklasse schwindet mittlerweile. Heutzutage richten wir uns an Eltern, die wollen, dass ihre Kinder in der Schule etwas lernen. Unsere Schule erreicht im nationalen Vergleich Bestnoten.»
    «Natürlich, denn nur so bleiben Sie konkurrenzfähig und können Ihre idiotisch hohen Schulgebühren rechtfertigen.»
    «Wir haben die Schulgebühren abgeschafft.»
    «Klar, Sie mussten das Ganze ja auch nur in ‹angemessene Materialgebühr› umtaufen.»
    Groth warf Sebastian einen finsteren Blick zu und lehnte sich in seinem ergonomischen Bürostuhl zurück. Vanja spürte, wie ihnen die ganze Angelegenheit gleich zu Beginn aus den Händen zu gleiten drohte. Trotz seines übertrieben korrekten Tonfalls hatte der Rektor den Eindruck vermittelt, dass er ihnen bei den Ermittlungen behilflich sein wollte. Sebastians Unverschämtheiten konnten das innerhalb von drei Minuten zunichte machen. Und dann würden sie um jede Information über Schüler und Lehrer kämpfen müssen. Wenn Ragnar Groth nicht einverstanden wäre, würden sie sich nicht einmal ein Schulfoto ansehen dürfen, ohne vorher eine Genehmigung einholen zu müssen. Vanja war nicht sicher, ob sich Rektor Groth überhaupt darüber im Klaren war, wie sehr er ihnen die Arbeit erschweren konnte. Aber in diesem Fall war sie nicht bereit, Risiken einzugehen. Sie beugte

Weitere Kostenlose Bücher