Der Mann, der kein Mörder war
gesagt?»
Beatrice schüttelte den Kopf.
«Er wollte mit Johan sprechen.»
«Freitagabend um Viertel nach acht?»
«Ja, so ungefähr.»
Vanja bedankte sich und ging. Viertel nach acht.
Zu diesem Zeitpunkt hätte Roger bei seiner Freundin Lisa sein müssen. Vanja war sich zunehmend sicher, dass er dort gar nicht erst aufgetaucht war.
Das Material war auf zwei LaCie-Festplatten gespeichert, die ein Kurier vor einer Stunde von der Überwachungsfirma geliefert hatte. Innerhalb kürzester Zeit hatte Billy die erste stahlgraue Kassette mit seinem Computer verbunden und mit der Arbeit begonnen. Die Platte war mit den Angaben «Fr 23. April 06.00–00.00, Kameras 1:02–1:16» gekennzeichnet. Nach dem Verzeichnis, das die Firma mitgeliefert hatte, deckten die Kameras 1:14 und 1:15 die Gustavsborgsgatan ab, oder zumindest einen Teil davon. Der letzte bekannte Ort, an dem Roger sich an jenem schicksalhaften Abend aufgehalten hatte.
Billy suchte in den verschiedenen Unterordnern direkt nach Kamera 1:14 und öffnete sie per Doppelklick. Die Wiedergabequalität war besser als erwartet. Das Kamerasystem war keine sechs Jahre alt, anscheinend hatte das Unternehmen nicht gespart. Billy war froh darüber, oftmals war das Material aus Überwachungskameras dermaßen verschwommen, dass es sie kaum voranbrachte. Dies war eine ganz andere Größenordnung. Krasse Zeiss-Optik, dachte Billy, während er auf 21:00 Uhr vorspulte. Bereits nach einer halben Stunde rief er Torkel an, der sofort kam.
Er setzte sich neben Billy. An der Deckte surrte der Projektor, der mit Billys Computer verbunden war. An der Wand liefen die Bilder der Überwachungskamera 1:15. Von der Perspektive der Bilder konnte man mühelos herleiten, dass die Kamera circa zehn Meter über der Erde angebracht war. Sie war auf einen offenen Platz gerichtet, in dessen Mitte eine Straße entlangführte, die zwischen zwei hohen Häusern verschwand. Das Gebäude links war die Hochschule, rechts lag eine andere Schule. Der leere, offene Platz vor der Kamera wirkte kalt und windig. In einer Ecke des Bildes lief die Zeitangabe. Plötzlich wurde die Stille von einem Moped durchbrochen, das ins Bild fuhr. Billy stoppte das Video.
«Da. Um 21:02 Uhr fährt Leo Lundin vorbei. Kurz danach kommt Roger von links.»
Billy bediente die Tastatur, und die Aufnahme lief weiter. Nach knapp einer Minute kam eine andere Gestalt ins Bild. Bekleidet mit einer grünen Jacke, der Gang schnell und zielgerichtet. Billy hielt das Band erneut an, und sie betrachteten die Gestalt. Obwohl sie eine Mütze trug, die das Gesicht verdeckte, handelte es sich zweifelsohne um Roger Eriksson. Die Größe, die halblangen Haare und diese Jacke, die jetzt im Beweisarchiv der Polizei hing, dunkel von getrocknetem Blut. Auf der Aufnahme war sie noch heil und fleckenfrei.
«Er taucht um genau 21:02:48 Uhr auf», sagte Billy und ließ den Film weiterlaufen. Roger machte einen Satz und ging weiter. Bewegte Bilder von einem Menschen, der nur noch wenige Stunden zu leben hatte, waren etwas sehr Spezielles. Das Wissen um die bevorstehende Katastrophe führte dazu, dass man jeden einzelnen Schritt genauer betrachtete, jede Bewegung war von größter Bedeutung. Hinter der nächsten Ecke lauerte der Tod, doch dieser alltägliche Spaziergang ließ nichts davon erahnen. Das Bewusstsein des künftigen Schicksals lag beim Betrachter, nicht bei dem sechzehnjährigen Jungen, der stumm an der Kamera 1:15 vorbeiwanderte. Er wusste nicht, was ihm bevorstand.
Torkel beobachtete, wie Roger stutzte und aufsah. In der nächsten Sekunde war das Moped wieder da. An Rogers Körpersprache konnten sie erkennen, dass er den Fahrer erkannte und ahnte, dass das Auftauchen des Mopeds für ihn mit Schwierigkeiten verbunden war. Er erstarrte, sah sich um, als suche er nach einem Fluchtweg. Dann entschied er sich, das Moped zu ignorieren, das ihn mittlerweile provozierend umkreiste. Roger versuchte, ein paar Schritte weiterzukommen, doch das kreisende Moped hinderte ihn daran, es fuhr immer enger um ihn herum, Runde für Runde. Roger hielt an. Nach einigen weiteren Kreisen stoppte auch das Moped. Leo stieg ab. Roger fixierte den Jungen, der seinen Helm abnahm, und richtete sich auf, als wolle er sich größer machen. Er wusste, dass es gleich Ärger geben würde, er bereitete sich darauf vor. Rüstete sich für das, was erfahrungsgemäß folgen würde.
Für Torkel war das die erste eigentliche Begegnung mit dem toten Jungen. Sie
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