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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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liegt in der Natur des Menschen, Hierarchien zu schaffen. Sobald wir einer Gruppe angehören, müssen wir wissen, wo wir stehen, und wir handeln so, wie es erforderlich ist, um uns diesen Platz zu sichern oder sogar aufzusteigen. Mehr oder weniger gezielt. Mehr oder weniger raffiniert.»
    Sie waren am Auto angekommen. Vanja blieb an der Fahrertür stehen und warf Sebastian über das Autodach hinweg einen skeptischen Blick zu.
    «Ich arbeite schon seit mehreren Jahren in unserem Ermittlerteam. Bei uns ist das nicht so.»
    «Aber nur, weil die Hierarchie statisch ist und Billy, der am weitesten unten steht, keine Ambitionen hat, aufzusteigen.»
    Vanja blickte ihn amüsiert und zugleich ungläubig an.
    «Du denkst, Billy steht am weitesten unten?»
    Sebastian nickte. Natürlich. Dass Billy im Team der Rangniedrigste war, hatte er in weniger als drei Sekunden erkannt.
    «Und wo stehe ich dann deiner Einschätzung nach in dieser Gruppe?»
    «Direkt unter Torkel. Ursula macht dir diese Position nicht streitig, weil ihr nicht im selben Bereich arbeitet. Sie weiß, dass sie auf ihrem Gebiet die Beste ist, also steht ihr in keinem direkten Konkurrenzverhältnis. Wenn es so wäre, hätte sie dich längst von deiner Position verdrängt.»
    «Oder ich sie.»
    Sebastian lächelte sie an, als sei sie ein kleines Mädchen, das gerade etwas unfreiwillig Komisches gesagt hatte.
    «Ja, das glaubst du vielleicht.»
    Sebastian öffnete die Beifahrertür und setzte sich. Vanja blieb noch einen kurzen Moment draußen stehen und versuchte, das wachsende Gefühl der Irritation abzuschütteln. Sie würde ihm nicht den Gefallen tun und sich ärgern lassen. Sie verfluchte sich. Nicht zu einem Gespräch einladen, das war die Devise. So lange er den Mund hielt, wurde man jedenfalls auch nicht wütend. Noch zweimal tief durchatmen. Dann öffnete sie die Tür und nahm hinter dem Steuer Platz. Sie warf Sebastian einen kurzen Blick zu. Wider besseren Wissens sprach sie ihn erneut an. Er sollte auf keinen Fall das letzte Wort haben.
    «Du kennst uns doch gar nicht. Du redest einfach nur irgendwas daher.»
    «Tue ich das? Torkel hat mich eingestellt. Billy war es egal. Ursula und du, ihr wisst nicht, wie ihr mich einschätzen sollt. Euch ist nur klar, dass ich verdammt gut bin, und ihr habt euch deutlich von mir distanziert.»
    «Und du meinst, das liegt daran, dass wir uns bedroht fühlen?»
    «Woran denn sonst?»
    «Weil du ein Arsch bist.»
    Vanja startete das Auto. Ha! Gewonnen! Sie hatte das letzte Wort gehabt. Wenn es nach ihr ging, konnten sie nun schweigend zu Axel Johansson nach Hause fahren.
    Doch es ging nicht nach ihr.
    «Das ist dir wichtig, was?»
    Mein Gott, konnte er nicht einfach mal seine Klappe halten. Vanja stieß einen lauten Seufzer aus.
    «Was ist mir wichtig?»
    «Immer das letzte Wort zu haben.»
    Vanja biss die Zähne zusammen und starrte geradeaus. Wenigstens entging ihr so das selbstgefällige Grinsen auf Sebastians Lippen, als er sich in seinem Sitz zurücklehnte und die Augen schloss.
     
     
    Vanja nahm den Finger nicht vom Klingelknopf. Das monotone Surren drang durch die Tür hindurch in das hallende Treppenhaus, wo Sebastian und sie standen. Aber das war auch alles, was man hörte. Vanja hatte durch den Briefschlitz in der Tür in die Wohnung hineingelauscht, bevor sie das erste Mal klingelte. Doch da war keine Bewegung wahrnehmbar gewesen, kein Geräusch zu hören.
    Vanja hatte ihren Zeigefinger noch immer auf der Klingel geparkt. Sebastian überlegte, ob er sie darauf hinweisen sollte, dass Axel Johansson wahrscheinlich bereits nach dem ersten ihrer acht Klingelversuche aufgemacht hätte, wenn er zu Hause wäre. Selbst wenn er geschlafen hätte, wäre er nun schon längst an der Tür gewesen. Ja, sogar wenn er dort drinnen aufgebahrt und in den letzten Zügen läge, würde er sich spätestens jetzt aufrappeln und zur Tür kriechen.
    «Was machen Sie denn da draußen?»
    Vanja ließ die Klingel los und drehte sich um. Hinter einer halbgeöffneten Tür spähte neugierig eine kleine, graue Alte hervor. Das war in der Tat Sebastians erster Eindruck. Dass sie grau war. Und das lag nicht nur an dem glatten, dünnen Haar. Die Frau trug eine graue Strickjacke, graue Jogginghosen und Wollsocken an den Füßen. Graue Wollsocken. Mitten in dem grauen, runzligen Gesicht saß eine farblose Brille, die den Eindruck von Grauheit und Transparenz zusätzlich verstärkte. Jetzt blinzelte sie die Eindringlinge im Treppenausgang

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