Der Mann, der kein Mörder war
hellen Birkentisch im Konferenzsaal des Präsidiums versammelt hatte. Als sie ihre Ergebnisse zusammentrugen, wurde ihnen schmerzlich bewusst, dass sie nicht weit gekommen waren. Dass die Mail von der Palmlövska-Schule verschickt worden war, hatte den Kreis der möglichen Verdächtigen nur unwesentlich eingeschränkt. Und dass sie nun beweisen konnten, dass Lisa gelogen hatte, bestätigte zwar Vanjas lange gehegten Verdacht, führte aber dennoch nirgendwo hin. Die wichtigste Erkenntnis aus der Vernehmung mit Lisa war, dass Roger gern Geheimnisse hatte. Sie mussten sein Leben außerhalb der Schule genauer unter die Lupe nehmen, darüber waren sich alle einig. Besonders interessant schien der Hinweis, dass er möglicherweise eine geheime Beziehung gehabt hatte. Eine Beziehung zu jemandem, den er traf, wenn alle glaubten, dass er bei Lisa wäre. Sie beschlossen, dass ein Teil des Teams sich darauf konzentrieren sollte, Roger näher kennenzulernen. Was für ein Junge war er eigentlich gewesen?
«Haben wir schon seinen Computer untersucht?», fragte Billy.
«Er hatte keinen.»
Billy sah Vanja an, als hätte er sich verhört.
«Er hatte keinen Computer?»
«Jedenfalls ist keiner auf der Liste der Beamten vermerkt, die sein Zimmer durchsucht haben.»
«Aber er war sechzehn! Könnte der Computer gestohlen worden sein? Genau wie die Uhr?»
«Auf den Bildern der Überwachungskamera hatte er keinen Laptop bei sich», wandte Torkel ein.
Billy schüttelte den Kopf, während er sich das Leid ausmalte, das dieser arme Junge durchlitten haben musste. Nicht verbunden zu sein. Isoliert. Einsam.
«Er kann ja trotzdem im Netz aktiv gewesen sein», fuhr Torkel fort. «Mit Lisas Computer oder in irgendeinem Jugendzentrum, einem Internetcafé. Prüf mal nach, ob du ihn irgendwo findest.»
Billy nickte.
«Und dann haben wir noch Axel Johansson.» Torkel ließ seinen Blick über den Tisch schweifen. Billy nahm den Ball an.
«Die Haustürbefragungen heute haben nichts ergeben. Niemand konnte sich daran erinnern, Roger am Freitagabend in diesem Gebiet gesehen zu haben.»
«Was nicht bedeuten muss, dass er nicht da war», warf Vanja ein.
«Was aber auch nicht bedeuten muss, dass er da war», konterte Billy.
«Was wissen wir überhaupt über Johansson, abgesehen davon, dass er in einem Gebiet wohnt, in dem sich Roger vielleicht, vielleicht aber auch nicht an dem Freitag aufhielt, als er verschwand?», fragte Sebastian.
«Johansson ist wegen Roger gefeuert worden», warf Vanja ein, «das ist bislang das stärkste Motiv, das wir haben.»
«Und er ist seit zwei Tagen verschwunden», ergänzte Billy.
Einen kurzen Moment spürte Sebastian, wie ihn die Ungeduld packte. Er war den ganzen Tag mit Vanja unterwegs gewesen. Hatte dieselben Dinge gehört wie sie. Es war ihm also durchaus bewusst, dass es etwas gab, was man als Tatmotiv auslegen konnte, und dass Axel Johansson nicht zu Hause gewesen war.
«Abgesehen davon, meinte ich natürlich.»
Um den Tisch herum entstand Schweigen. Billy blätterte in seinen Papieren und fand, wonach er suchte.
«Axel Malte Johansson. Zweiundvierzig Jahre alt. Ledig. Geboren in Örebro. Häufig innerhalb Schwedens umgezogen. In den letzten zwölf Jahren wohnte er in Umeå, Sollefteå, Gävle und Helsingborg. Nach Västerås kam er vor zwei Jahren. Anstellung als Hausmeister auf der Palmlövska. Hauptsächlich Einträge im Schuldenregister. Laut Strafregister nicht vorbestraft, aber er tauchte immer wieder in Zusammenhang mit Scheckbetrügereien und Urkundenfälschung auf, und es gab Anzeigen wegen sexueller Belästigung. Alles wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt.»
Vanja fühlte sich dennoch ein wenig bestärkt. Immerhin kam er in den Registern vor. Das machte Axel Johansson zweifellos interessanter für die Ermittlungen. Die Erfahrung in Mordfällen besagte, dass diejenigen, die töteten oder mordeten, fast immer schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Häufig waren solch extreme Verbrechen nur die Spitze eskalierender Kriminalität und Gewalt. Meistens wurde der Weg zum schlimmsten Verbrechen von anderen Straftaten gesäumt, und fast immer kannten sich Täter und Opfer. Fast immer.
Vanja überlegte, ob sie erwähnen sollte, was ihr heute in den Sinn gekommen war, nämlich, dass der Mörder Roger möglicherweise überhaupt nicht gekannt hatte. Dass sie lediglich ihre Zeit verplemperten, wenn sie alles daransetzten, ein Profil des Opfers zu erstellen. Vielleicht sollten sie
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