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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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die einzigen Ferchers in der Stadt. Im Telefonbuch war mein Leben noch unverändert.
     
    Die Hausnummer 12 war ein langgezogener schmutzigbrauner Wohnblock mit graffitibeschmierten Glastüren. Auf den abgegrenzten Rasenflächen standen in Reih und Glied angerostete eiserne Rahmen für Wäscheleinen, die Kinder als Fußballtore benutzten. Bierdosen und Zigarettenkippen lagen in den verwilderten Anpflanzungen, die das schmucklose Monstrum von Haus optisch in kleinere Einheiten gliedern sollten. Undenkbar, dass Melanie in einer solchen Umgebung lebte, und sei es auch nur für ein paar Tage. Ich klingelte bei R. Stöhr. Ich klingelte noch einmal und noch drei, viermal.
    Die Hausnummer 111 war 500 Meter die Straße hoch in einer nicht weniger scheußlichen Mietskaserne. Ein Klingelschild mit dem Au fdruck Stöcker gab es nicht.
    „Entschuldigung, ich suche den Namen Stöcker“, fragte ich e ine alte Frau, die ein Haus weiter zwei Plastiktüten abstellte und die Tür aufsperrte.
    „Ist, glaub ich, im Altersheim. Oder vielleicht auch schon g estorben.“
    „War das eine Frau oder ein Mann?“
    „Ein Mann, glaub ich.“
    „Aber sicher sind Sie nicht?“
    „Doch, schon. Aber Sie können ja noch mal woanders fragen.“
    Ich beschloss, es zuerst bei Hans Stölzel zu versuchen. Ich kli ngelte, wartete, klingelte noch einmal. Drei Stockwerke schräg über der Tür ging ein Fenster auf.
    „Was issn?“
    Der Kerl war zwischen 50 und 60, hatte seine spärlichen Haare mit Gel nach hinten gekämmt und trug ein weißes Feinripp-Unterhemd.
    „Entschuldigung, ich suche Melanie Fercher.“
    „Da sind Sie hier falsch.“
    „Kann es sein, dass Ihre Frau...?“
    „Sie meinen Ex-Frau. Welche denn?“
    „Na ja, also...“
    „Sie sind hier garantiert falsch.“
    Er schloss das Fenster, und ich schloss mich seiner Meinung an.
    Kurz nach halb zwölf Uhr mittags kam ich zurück zur Hausnummer 12. Ich klingelte einmal, wollte noch einmal klingeln, aber in der nächsten Sekunde summte der Türöffner. Durch ein schmuckloses, nach Kohl riechendes Treppenhaus ging ich hoch in den dritten Stock. Die Tür der rechten Wohnung stand offen. Rita Stöhr, eine Frau um die 40, war selbst gerade nach Hause gekommen. Sie zog ihren Mantel aus und verlagerte eine prall gefüllte Einkaufstasche vom Treppenhaus in ihren Wohnungsflur.
    „Wollen Sie zu mir?“
    „Ich suche Melanie Fercher.“
    „Die wohnt hier nicht mehr. Wer sind Sie überhaupt?“
    Aus der Wohnung kam ein kleines Mädchen, klammerte sich an Rita Stöhrs Bein und wiederholte mit ihrer Piepsstimme:
    „Wer sind Sie denn überhaupt?“
    Ich musste lächeln.
    „Ich bin ihr Mann, Frank Fercher. Können Sie mir bitte ihre neue Adresse sagen?“
    „Sie sind ihr Mann?“
    Sie sah mich misstrauisch an.
    „Also, ich weiß nicht recht...“
    Aus der Einkaufstasche quollen ein halb in weißes Papier eing eschlagener Laib frischen Brotes, das ich deutlich zu riechen meinte, und eine Staude Bananen. Mein Magen knurrte laut. Es klang wie ein Rülpsen.
    „Entschuldigung. Sie können ja, wenn Sie möchten, erst mal bei ihr anrufen.“
    „Geht nicht, sie hat kein Telefon.“
    „Sie hat doch gar kein Telefon“, piepte das Mädchen und strah lte.
    Ich war erleichtert, das zu hören. Sie sollte von meiner Rüc kkehr nicht am Telefon erfahren. Andererseits: Kein Telefon – was hatte das zu bedeuten?
    „Sie arbeitet in dieser Zeitarbeitsfirma, wenn Ihnen das weite rhilft, ASZ oder so ähnlich.“
    Das kleine Mädchen reckte sich hoch, zerrte ihre Mutter an der Bluse und fragte im überlauten Flüsterton:
    „Mami, die Melanie wohnt doch in der Parkstraße, wo mein Kindergarten ist, oder?“
    Rita Stöhr schaute mit gespielt strafendem Blick nach unten zu ihrer Tochter und musste dann lächeln. Ich lachte laut und e rleichtert, weil mir nun der Umweg über die Zeitarbeitsfirma erspart blieb, die mir Melanies Adresse wohl sowieso nicht gegeben hätte.
    „Keine Sorge, ich bin wirklich ihr Mann, und sie wird Ihnen nicht böse sein.“
    Ich winkte dem Mädchen zu, und sie winkte zurück.
    „Hausnummer 8. Ist ja egal, wenn Sie nun schon die Straße wi ssen.“
    „Danke.“
    Ich drehte mich um, ging die Treppe hinunter, aber blieb in Gedanken bei dem Brotlaib hängen. Was wäre dabei gewesen, um ein Stück Brot zu bitten? Es verstieß gegen das Selbstverständnis des alten Frank Fercher, um irgend etwas zu bitten. Lieber verhungern.
    Ich merkte, wie meine Werte anfingen zu driften. Ich war ich, und

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