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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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erklommen hatte. Auch ich war unentschlossen.
    „Du wartest hier“, rief mir Rogalla zu. Das war für mich das Stichwort, mich ebenfalls auf das Förderband zu schwingen. Im G egensatz zu den beiden Karatekämpfern hatte ich dabei die Eleganz eines nassen Sackes. Ich erwähne das, weil der Eindruck, den ich bei meinem einarmigen Aufschwung machte, noch eine Rolle spielen sollte in dem psychologischen Spielchen, das längst zwischen uns entbrannt war. Die beiden anderen waren sich ebenbürtig, wobei Rogalla im Moment durch die Pistole den Vorteil auf seiner Seite hatte. Ich war der heillos Unterlegene, der aber durch die Unberechenbarkeit seines Verhaltens, die in seiner Rolle angelegt war, das Zünglein an der Waage sein konnte.
    Ich stand an der trichterförmigen Öffnung, in die früher das grob gebrochene Felsmaterial aus dem Steinbruch gekippt wo rden war. Darunter lag der Steinbrecher, die Maschine, in der mit brutaler Gewalt die Felsen zu Schotter zermalmt wurden. Dahinter erhob sich eine Art Mast mit einer Plattform auf einer Höhe von etwa zehn, vielleicht zwölf Metern, zu der eine den Mast entlang führende Leiter aufragte. Die untere Öffnung des Steinbrechers mündete auf das Förderband, das von oben bis unten mit Schotter bedeckt war, so als sei das Schotterwerk aus vollem Betrieb heraus stillgelegt worden.
    Über mir balancierte Rogalla auf halber Strecke den steilen Ve rlauf des Förderbandes entlang. Ständig lösten sich Steine unter seinem Tritt und rutschten und rollten zu mir herab. Honkes kam gerade oben an. Rogalla war derart damit beschäftigt, auf dem Schotteruntergrund nicht wegzurutschen, dass er Honkes nur bedingt mit der Pistole in Schach halten konnte. Es wäre kein allzu großes Risiko für Honkes gewesen, so schätzte ich die Situation ein, sich einen Schotterbrocken zu schnappen und ihn auf Rogalla zu schleudern, aber er tat es nicht.
    Es kam mir so vor, als sei es sein Ziel, uns in dieses Steins ilo zu locken, um uns dort ohne großen Aufwand entsorgen zu können. Wenn Rogalla selbst hoch balancierte, dann musste Honkes ihn nicht als Leiche hoch zerren. Den beiden hinterher zu kraxeln kam mir vor als würde ich mein eigenes Grab schaufeln und mich auch noch hineinlegen, um mich dort erschießen zu lassen. Ich zögerte und überlegte ernsthaft, mich aus dem Staub zu machen.
    Rogalla kam an der Kipphöhe des Förderbandes an. Ich kon nte nicht hören, was gesprochen wurde, aber sah ihn mit der Pistole fuchteln. Honkes bückte sich und verschwand in der von mir hier unten aus kaum wahrnehmbaren Öffnung, durch die früher der Schotter ins Silo geprasselt war. Kurz darauf verschwand auch Rogalla darin, ohne dass er sich nach mir umgedreht hätte.
    Als ich das sah, überkam mich das Gefühl, ausgeschlossen zu sein. So als sei ich bereits um meinen Anteil betrogen und e igentlich schon gar nicht mehr vorhanden. Sofort war die Gefahr vergessen. Ich verdrängte die Höhenangst, die mir seit meinem Everest-Fehlversuch zu schaffen machte, und begann den Aufstieg über das Förderband.
    Ich stellte mir vor, wie Honkes hier Koffer und T aschen voll mit meinem Geld hochgetragen hatte. Aber dann fiel mir ein, dass er erwähnt hatte, die Maschinen funktionierten noch. Wahrscheinlich hatte er das Geld bequem auf dem Förderband nach oben transportiert und erst hinterher noch mal eine Ladung Schotter hochgeschickt, um allen, die sich in seinen Steinbruch verirrten, den Weg nach oben zu erschweren.
    Das Förderband verlief frei schwebend über dem felsigen Unte rgrund des Steinbruches. Auf halber Höhe, als sich gerade wieder ein Stein unter meinem Tritt löste und klackend in die Tiefe rollte, blockierte mich eine Sperre in meinem Gehirn: Bis hierher und nicht weiter. Ich begann zu schwitzen, und meine Hand verkrampfte sich um den linken Rand des Förderbandes. Tief drin in meinem Bauch kribbelte es.
    Ich schloss die Augen, atmete, versuc hte, die Distanz zwischen mir und dem Erdboden zu vergessen, aber es gelang mir nicht. Was mir half, war der Gedanke daran, was gerade im Silo vor sich gehen mochte. Ich setzte mich wieder in Bewegung: Hand vor, fest um den Rand des Förderbandes krallen, mit dem Stumpf die Gegenseite abstützen, einen Schritt nach oben setzen, möglichst festen Stand auf dem instabilen Schotterbelag finden, Hand wider ein Stückchen nach oben und festkrallen...
    Die Öffnung zum Silo war so groß wie eine quergelegte Tür. D irekt darüber saß das Dach. Zwei Meter darunter

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