Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
Vom Netzwerk:
und wollte sterben.
    Die nächsten Szenen erlebte ich wie im Traum. Eine gnädige Oh nmacht blieb mir verwehrt. Die Schmerzen allerdings traten in den Hintergrund. Ich lag am Boden und sah über mir, verwundert über die klaren Bilder, wie der Elch zum Jüngling ging, ihm seinen Eintopf und seinen Becher Wasser wegnahm. Ich sah dem Jüngling an, wie sehr er mich deswegen hasste. Überhaupt verstand ich all diese Männer hier drin, ich verstand ihre Abneigung gegen mich. Es war mir, als kenne ich sie schon ein Leben lang, ich verzieh ihnen ihre Taten und fügte mich mit ihnen in unser Schicksal.
    Auf Geheiß des Elches packten zwei Männer mich unter den A rmen und zerrten mich auf die Bank, richteten mich an der Wand auf und wischten mir das Blut von der Nase. Ich sah zu, wie sie die Becher wieder stapelten und die leeren Schüsseln auf dem Tablett ausrichteten. Sie hatten, das fühlte ich, vor den Wärtern noch mehr Angst als vor dem Elch.
    Natürlich sahen die Wärter mir an, als sie die Tabletts einsa mmelten, dass ich nicht recht bei Sinnen war, aber sie schienen es nicht anders erwartet zu haben, es schien ihnen zu gefallen. Regeln waren alles hier. Man konnte mir mein Essen ungenießbar machen und mich halb tot prügeln, egal, Hauptsache ich saß beim Tabletteinsammeln fern von der Klappe auf der Bank. Und das gab mir in meinem Zustand zu denken: Vielleicht gab es auch in diesem labyrinthischen Verlies noch Grund zur Hoffnung auf einen Ausweg.
    Kaum waren die Wärter den Zellentrakt entlang, stand der Elch auf, zerrte mich von der Bank an die Luke zu meiner zugigen Zelle in der Zelle und ließ mich blutend liegen. Irgendwann wurde es dunkel. Irgendwann wieder hell. Ich lag da und rec hnete. Ein Tag war überstanden. Ein Tag von, na ja, wenn ich bei meiner Lebenskraft das Potential zu 80 bis 90 in Freiheit hatte, würde ich die 70 hier drin schon schaffen – ein Tag also von 13.870 zu verbüßenden Tagen.
    Nicht mit mir!
     
    Die Zwischengitterwächter hatten Schusswaffen gehabt, kleine P istolen in kleinen Taschen am Gürtel. Kein Zweifel, dass diese Waffen zum ausdrücklichen Gebrauch vorgesehen waren.
    Du fürchterlicher Elch, in meinem neuen Plan bist du nichts als eine erbärmliche Witzfigur. Kannst gern auch in mein Frü hstück pissen. Zum Mittagessen bin ich nicht mehr hier.
    Der Trotz dieser Gedanken brachte mich wieder auf die Beine. Den Weg zur Bank, als sie morgendliche Essensausgabe anstand, schaf fte ich auf eigenen Füßen. Der Mund klebte mir vor Durst. Meine Nase war nicht mehr an ihrem Platz. Untenrum war alles geschwollen, mein rechter Arm nicht zu gebrauchen. Dem Elch war das nicht genug an Tortur für mich. Er nahm sich gleich zwei Teller Brei, zwei Brötchen, zwei Becher Kaffee. Nummer 17, der beulige Jüngling, räumte die Tabletts vor meiner gebrochenen Nase leer. Recht so, das würde mir nur helfen.
    Aber meine Tollkühnheit schwand, je näher der Zeitpunkt rüc kte, den ich mir gesetzt hatte. Es ist eine Sache, überzeugt zu sein, dass einem kein Ausweg bleibt als ein Himmelfahrtskommando, aber man hängt halt auch am erbärmlichsten Rest von Leben, ganz kaputt geht die Hoffnung nie, und jeder Grad körperlicher Qual kann noch gesteigert werden.
    Ich hockte da mit dem Rücken zu meinen Mitgefangenen und star rte auf die Luke in der Klappe des Gitters. Sie war mehr als 20 Zentimeter hoch, vielleicht 25, sogar knapp 30. Ausreichend auf jeden Fall. Aber in meinem Zustand – Plan B war völlig aussichtslos, auch Plan A nur unter allergünstigsten Umständen zu verwirklichen. Und was würden die Folgen sein, wenn beide Pläne scheiterten? Konnte es noch schlimmer kommen als es jetzt schon war? Warum nicht erst noch ein bisschen einleben hier, weitere Schwachstellen finden, das Risiko mindern, die Chancen erhöhen?
    Der Elch gab mir den letzten Impuls, meinen Vorsatz nicht aufz uschieben. Je eher, desto besser!
    Ich hockte mit gekreuzten Beinen, Gesicht zum Gitter, und starrte hinaus in den Zellentrakt. Zehn Meter zur Linken b egannen die Stufen in die nächsthöhere Etage, etwa 20 waren es, aber ich hatte keine Ahnung, ob ich dann im Erdgeschoss wäre oder nur in einem höher gelagerten Kellergeschoss. Ich wusste nur, wo mein Ziel war, das nächstgelegene Zwischengitter etwa 50 Meter jenseits der Treppe.
    Die Zeit bis zum Mittagessen tröpfelte dahin. Mein Arm hatte au fgehört zu bluten. Unter der verschmierten dunkelroten Kruste fiel mir ein seltsamer Belag an den Wundrändern auf. Die

Weitere Kostenlose Bücher