Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
mich, da war ich auch schon halb bei ihm. Er sprang auf, zog die Pistole...
Für einen Moment hatte ich gehofft, ich sei schneller, aber als ich am Gitter ankam, war der Lauf schon auf meine Brust geric htet. Also eben Plan A. Ich griff zu, zog seine Hand mit der Waffe durchs Gitter mit dem Lauf an meine Brust.
„Nun erschieß mich schon!“, schrie ich.
Er schoss nicht, er zitterte. Ein ganz junger Kerl war das noch unter seinem martialischen Mützenschirm, und mich durchflutete ein Schwall von Zuversicht. Eine Chance für Plan B? Ich entriss ihm die Pistole, fummelte sie durchs Maschengitter, richtete sie gegen ihn.
„Aufsperren, los!“
Er hob die Hände, wich zurück. Hinter mir kamen die Wärter heran, brüllten mir Befehle an den Hinterkopf. Ich ging rechts zur Wand, suchte daran Rückendeckung, sah über die Schulter, ließ die Pistole auf den Zwischengitterbewacher gerichtet. Auch die Wärter hoben die Hände, blieben stehen, konnten gar nicht begreifen: Ich war nicht nur geflohen, ich war bewaffnet!
„Sperr schon endlich auf, verflucht, open the door!“
Er fummelte einen Schlüssel hervor, steckte ihn mit zitternden Fingern ins Schloss, drehte, die Tür ging auf, der Gang war frei – der Gang war nicht mehr frei: Um die Ecke kam eine kleine Armee von Wärtern, Gewehre im Anschlag. Zwei gingen auf die Knie und zielten, waren bereit, lieber ein Blutbad auch unter ihren Kollegen anzurichten als mich vorbeizulassen.
Zurück zu Plan A: Ich steckte mir die Pistole zwischen die Li ppen. Ein heftiger Schlag von hinten riss mir den Kopf herum. Der Lauf geriet mir aus dem Mund, bevor ich abdrücken konnte. Im Fallen dachte ich noch: Der Zwischentürbewacher, dieser zitternde junge Kerl, ist kühner als erwartet. Sah ihn dastehen mit einem Gummiknüppel in beiden Händen, erschrocken und erstaunt über sich selbst, da rutschte ich an der Wand hinab, sah die grüne Betondecke in bunten Blasen untergehen und dachte „Scheiß drauf, noch ne Beule mehr...“
Kapitel 9
In dem Keller, in dem ich wieder aufwachte, wurden Kohlen und Kartoffeln gelagert. Die Kartoffeln waren zu meinen Füßen und a ußer Reichweite, ich roch sie, aber sah sie nicht. Die Kohlen, glänzende feste Eierbriketts, türmten sich zu meiner Rechten etwa einen Meter die rohe Kellerwand hoch und verteilten sich über den Boden bis zu dem Platz, an dem ich von da an gelagert wurde. Über dem Kohlenhaufen war ein Fensterchen mit zwei schmierigen Glasscheiben, die jeweils so groß waren wie eine Katzenklappe, eine Verstrebung oder Gitter gab es nicht, und so hätte sich ein abgemagerter Mann wie ich wohl nach oben ins Freie winden können. Wahrscheinlich hätte ich diesen Weg nicht gewählt, sondern den durch die Kellertür. Die war nur angelehnt, ein feuchter Wind blies mir durch den Türspalt unausgesetzt gegen die Füße. Ich hätte die Tür genommen, aber leider hatte ich die gleiche Chance, durch ein Fenster oder eine Tür zu entkommen, wie ein Kanarienvogel in seinem Bauer: gar keine.
Der Käfig, in dem ich steckte, war etwa so groß wie ein Sarg. Ich lag ausgestreckt darin auf dem Rücken, als ich wieder au fwachte, und anders hätte man auch gar nicht liegen können. Es war unmöglich, sich aufzurichten oder die Beine anzuziehen. Auf die Seite legen oder gar umdrehen ging nicht, der Käfig war flacher als meine schmal gewordenen Schultern breit waren. Man darf sich das monströse Gebilde, in dem ich von nun an vegetieren musste, nicht sauber gearbeitet wie einen Vogelkäfig vorstellen, sondern eher wie aus wüst ineinander verflochtenen, mit Draht umwickelten und verschweißten eisernen Mikado-Stäbchen gemacht, die rundum verrostet waren. Nach außen hin, so weit ich das von innen beurteilen konnte, musste der Käfig wie ein Stachelpanzer wirken, wie ein Schutzschild für die zerbrechliche menschliche Frucht im Innern; von Innen heraus betrachtet, steckte ich in einer eisernen Faust, die mich fast lückenlos umschloss und mir gerade so viel Bewegungsspielraum ließ, dass ich nicht auf der Stelle vor Platzangst wahnsinnig wurde.
Uniformierte Wärter sah ich von nun an nicht mehr. Einmal am Tag, meist um den frühen Nachmittag, schlurfte ein alter, zahnl oser Mann zu mir in den Keller und brachte mir einen flachen Teller mit Essensresten wie Kartoffelschalen oder Brotrinden, ganz selten ein bisschen zähes, sehniges Fleisch, und dazu eine Schale mit Wasser.
Mein Käfig hatte zwei ständige Öffnu ngen. Die eine war links neben
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