Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
meinem Kopf, sie war vielleicht zwanzig, fünfundzwanzig Zentimeter breit und zehn Zentimeter hoch. Durch sie schob der alte Mann mir den täglichen Teller und die Schale in den Käfig. Die andere Öffnung musste sich unter meinem verlängerten Rücken befinden. Der Käfig stand erhöht, wahrscheinlich auf eisernen Beinen, und darunter fing ein Eimer auf, was ich gelegentlich von mir gab.
Der alte Mann hatte, wenn er mir Teller und Schale brachte, einen fr ischen Eimer am Henkel über dem Arm hängen. Er gab mir zu fressen, tauschte die Eimer und nahm, wenn er wieder ging, im täglichen Wechsel einen Beutel Kartoffeln oder einen Beutel Kohlen mit. Die Tür ließ er stets angelehnt, das Fenster geschlossen.
Ihm Fragen zu stellen, gab ich bald auf. Es gab drei Dinge in diesem Keller, für die er verantwor tlich war, die Kohlen, die Kartoffeln und mich, und so wenig wie er mit den Kohlen oder den Kartoffeln gesprochen hätte, so wenig sprach er mit mir.
Ich g ewöhnte mir an, den Teller und die Schale nur zur Hälfte leer zu schlabbern und mir den Rest für die Nacht aufzuheben. Der Tag hatte dann zwei Höhepunkte, die Chance auf Schlaf war mit vollem Magen größer, und zugleich halbierte sich die Gefahr, eine der Maden in den Mund zu bekommen, die das Essen von Zeit zu Zeit bevölkerten. Ich beobachtete den Teller den Nachmittag lang, und wenn etwas Weißes aus dem Fraß hervorspitzte, war es eine kurzweilige Geduldsübung, mit der rechten Hand über meinen Körper hinweg nach dem Teller zu tasten, die Made blind herum matschend zu jagen - denn gleichzeitig den Teller zu beobachten und ihn mit der Hand zu erreichen, dafür hatte ich zu wenig Platz - und den ekligen weichen Wurm, wenn ich ihn erst mal hatte, durch die Gitterstäbe aus meinem Käfig zu werfen. Bei einer dieser Jagden war es auch, als ich entdeckte, dass die Wucherung an meinem Handgelenk die Bisswunde nun völlig bedeckte.
Bis zu dem Moment hatte ich in diesem Käfig, in diesem Keller wie in einem Traum gelebt, in dem alles schon immer so war, und man machte sich gar keine Gedanken, wie man hierher g ekommen war und was vorher eigentlich gewesen sein mochte. Plötzlich wurde ich mir dieses Traums bewusst.
Ich gehörte nicht in diesen Käfig! Ich lag ohne Hosen darin und bibberte. Ich war verschmutzt. Wahrscheinlich litt ich noch unter den Folgen einer Gehirnerschütterung, die der Zw ischentürbewacher mir mit seinem Totschläger zugefügt hatte. Ich schrie auf und stemmte mich gegen den Deckel des Käfigs, rüttelte daran und rüttelte mich bis nahe an eine Ohnmacht. Mit voller Wucht kam die Panik des lebendig Begrabenen über mich. Ich krümmte mich und bäumte mich auf und warf mich herum in meinem Sarg, scheuerte mich wund an den Gittern ringsum und verausgabte mich restlos.
Und dann war der Moment der Klarheit auch schon wieder dahin. E inen solchen Zustand kann man nicht überleben in ständiger Klarheit. Man muss zur Kartoffel werden oder zum Stückchen Kohle und still liegen und warten. Ich war eher eine Kartoffel, denn wie die alten Erdäpfel vom vergangenen Sommer in diesem Keller erste Triebe zum trüben Licht des Fensterchens reckten, was ich nicht sehen konnte aber zu riechen meinte, so wucherte auch mein Körper. Die Bisswunde arbeitete, es ging etwas darin vor, aber ich wollte keine wuchernde Pflanze sein, keine Kartoffel, die irgendwann faulen, von ihren Trieben aufgezehrt oder von einem anderen Lebewesen gefressen und verdaut werden würde. Lieber war ich ein geduldiges Stück Kohle, das Jahrmillionen im Boden gewartet hatte und ewig lebte oder sich unter Feuer und Glut selbst verzehrte und dabei Wärme spendete.
Ich hatte gelegentlich, wenn mir mein reiches, nichtsnutziges L eben als Frank Fercher allzu richtungslos und schmählich vorkam, mich hingesetzt und in mich dringen wollen, wofür ich denn bestimmt sein könnte. Es fällt schwer zu glauben, dass es das einzige Interesse und Talent sei, der einzige Grund, auf der Welt zu sein, sich selbst so weit zu zügeln, das väterliche Vermögen nicht durchzubringen und für die nächste Generation noch etwas übrig zu lassen. Ich hatte mich verzweifelt danach gesehnt, im Gegenteil dazu beitragen zu können, das Vermögen zu mehren, mich nützlich zu machen, aber eingefallen war mir nichts.
Zuweilen hatte ich mir vorgestellt, wie nett es sein mochte, ein kle iner Angestellter zu sein oder vielleicht ein selbstständiger Handwerker, der gezwungen war, für seinen Lebensunterhalt
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