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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Hautveränderung, die ich in meiner Untersuchungszelle entdeckt hatte, weitete sich aus zu einer gelblichen, schuppigen Wucherung, die nun fast einen halben Zentimeter breit war. Ob mir das Schmerzen verursachte, war nicht zu lokalisieren – das Höllenfeuer des Trittes ringsum überlagerte alles.
    Ich ve rtrieb mir die Zeit damit, an meiner Nase herumzudrücken, zu versuchen, sie einzurenken, was mir Bäche von Tränen in die Augen trieb und das Blut wieder tropfen ließ. Im Unterleib machte sich neues Unbehagen bemerkbar. Durch das Hocken auf dem kalten Steinfußboden musste ich mir die Blase erkältet haben, es zog und riss am Schließmuskel, und obwohl ich kaum getrunken hatte in den letzten Tagen, äußerte sich der Reiz auch im Gefühl einer übervollen Blase. Vielleicht brachte es Erleichterung, mich zu entleeren.
    Ich stand auf und sah mich sofort dem Blick des Elches ausg esetzt. Ohne ihn zu beachten bewegte ich mich aus dem mir zugewiesenen Kreis heraus. Das Örtchen lag in einer der Zellenecken und war nichts als eine Einbuchtung in der fortlaufenden Holzbank mit einem Loch darunter. Die Männer hockten sich, an die Bank gelehnt, über dieses Loch, und verrichteten ungerührt ihr Geschäft. Mir war das zunächst undenkbar gewesen, ich hatte es hinausgezögert so lange es ging. Nun wollte ich es hinter mich bringen, zum ersten und hoffentlich letzten Mal. Der Elch versuchte mit einer wütenden Geste, mich an die Klappe zurückzubefehlen. Ich deutete ihm an, wohin ich wollte, und zweifelte nicht daran, dass mir das ja wohl erlaubt sein würde.
    War es nicht. Ich schaffte noch einen Schritt, da stand der Elch mir auch schon im Weg und verpasste mir e inen Schubs, der mich zum Gitter zurückschleuderte. Ein Kampf war nicht zu gewinnen, die Folgen hätten nur meinen Plan verhindert, und der stand nun nicht mehr zur Diskussion. Ich blieb am Gitter, der Elch setzte sich wieder, und ich begann damit, meinen Vorsatz zu visualisieren.
     
    Es mochte wohl noch eine Stunde vergangen sein, da kehrte im Zellentrakt jene Unruhe ein, die auf baldige Essensausgabe hindeutete. Sofort wurde mir auf der Bank zu sitzen befohlen. Die Wärter kamen ins Blickfeld, und mir wurde bestätigt, was ich gestern und am Morgen schon unbewusst wahrgenommen hatte: Sie trugen ihre Uniform, aber sie waren Tablettverteiler in diesen Augenblicken, keine Wärter – es rechnete niemand mit irgendwelchen Unruhen zur Essensausgabe, denn die Gefangenen ihrerseits waren ganz Augen, Sabber und Magen. Es gab für sie nur drei Höhepunkte an den ewig gleichen Tagen ihres Knastlebens, und die gedachten sie auszukosten. Hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch erwogen, den Durchgang des Tablett-Wiedereinsammelns abzuwarten, war mir klar, ich musste jetzt handeln, denn jetzt herrschte ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit für das eine und Unaufmerksamkeit für alles andere.
    Wärter eins öffnete die Luke in der Klappe. Wie schon gestern und heute Morgen beobachtet, richtete er sich danach aus der Ho cke wieder auf, um das für diese Zelle bestimmte Tablett aus dem Transportwägelchen zu holen, während Wärter zwei ganz in seiner Rolle als wartendes Zugpferd des Transportwägelchens aufging.
    Diesen Moment nutzte ich aus. Ich stieß mich von der Wand ab, ließ mich auf den Bauch fallen und hechtete durch die Luke in der Klappe, bevor Wärter eins sie mit seinem Tablett blockieren wü rde. Drei Sekunden, und ich war draußen im Zellentrakt, die Überraschung war total: Wärter eins stand stocksteif mit seinem Tablett in der Hand, Wärter zwei hing am Transportwägelchen, desgleichen die Getränkeausgabe-Wärter an der Nachbarzelle. Ich war schon an der Treppe, als ich erstmals Geschrei und Geklapper hinter mir hörte. Dann ein donnerndes klirrendes Krachen. Einer der Wärter musste den Tablettwagen umgerannt haben.
    Die Stufen hochspurtend, spürte ich Schwäche in den Beinen. Adr enalin mochte mich durchströmen und aufpeitschen, aber ich war übermüdet wie nie, halb verhungert, ausgetrocknet bis kurz vorm Verdursten und schwer verletzt. Oben wurde mir schwarz vor Augen. Kein Wärter weit und breit.
    Welche Richtung war es gleich wieder zum Zw ischengitter? Warum war es nicht zu sehen, wo ich doch nur 50 Meter Weg zur Treppe in Erinnerung hatte?
    Hinter mir wurde es laut.
    Ich rannte einfach los, stolperte, fing mich an der Wand und rannte weiter. Es ging um die Ecke, ein Zwischengitter kam in Sicht. Der Zwischengitterbewacher hockte auf seinem Stuhl, sah

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