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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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aufzukommen. Vielleicht machte es nicht immer Spaß, morgens in die Arbeit gehen zu müssen, aber ganz sicher war es eine Befriedigung, abends nach Hause zu kommen und zu wissen, man hatte etwas geleistet und sich und seine Familie aus eigener Kraft einen Tag weitergebracht. Nicht, dass es mir unmöglich gewesen wäre, mir irgendeinen Job zu suchen, auch von Freunden auf den Arm genommen zu werden, hätte ich verkraftet, aber es fehlte am nötigen Antrieb. Wenn man nicht musste, wozu sollte man? Ich verstand mich dafür, es nicht zu tun, und verachtete mich dafür, mich dieser Ausrede zu bedienen.
    In diesem Käfig nun, da ich gezwungen war, den ganzen Tag durch chaotisch verkreuzte Gitter an eine spinnwebenverklebte Kelle rdecke zu starren, wurde alles so klar. Ich würde ausziehen aus diesem Monster von ererbtem Haus, wenn ich jemals zurückkäme, das schwor ich mir hier am vermeintlichen Tiefpunkt meines Lebens. Ich würde mich von Melanie trennen. Diese Ehe war eine lähmende Qual für uns beide. Ich würde ihr mein halbes Vermögen geben müssen und auch gern abgeben, würde Mirko die andere Hälfte überschreiben, verbindlich und mit sofortiger Wirkung. Und dann würde ich nicht nur wollen müssen, dann würde ich gezwungen sein, etwas zu arbeiten, um mich am Leben zu erhalten und meine Seele retten.
    Dann wieder, und diese Momente im Käfig überwogen, war es mein sehnlichster Wunsch, nicht meine Seele zu retten, sondern sie wegzuwerfen, einfach aufhören zu können mit dieser niede rsten Form des Vegetierens. Ich verfluchte die Stärke meines Körpers, der lieber wucherte und faulte, sich bei lebendigem Leib in einer Wolke von Gestank auflöste, statt ehrenvoll abzutreten und mich, der ich darin gleich mehrfach gefangen war, endlich frei zu geben. Ich wollte fliehen, und ich wollte sterben. Ich wollte aufhören zu wuchern und in einer gigantischen Wucherung aus diesen Gittern hervorquellen. Ich wollte den täglichen Madenfraß und das Wasser einfach neben mir stehen lassen, meinem Kreislauf die Betriebsenergie entziehen, ihn austrocknen und in die Knie zwingen, und ich wollte saufen und schlingen, mich am Leben erhalten und weiterkämpfen.
    Ich erinnere mich, dass es einmal kurz und hell aufleuchtete. Das erste Frühjahrsgewi tter? Ich war auch nicht immer nur allein mit mir oder allein mit dem alten Mann, der mich in seinem Keller hielt wie ein Hausschwein. Aber mehr bekomme ich aus dieser Zeit nicht zusammen. Die Tage und Wochen verschwimmen, wenn ich versuche, mich zu erinnern, zu einer einzigen unendliche Qual und gerinnen zum Sekundenblitz eines Alptraums, den man erhascht und ihm auch gleich schon entflohen ist. Was ich sagen kann, ist: Diese Zeit im Keller war die einzige, an der ich gar nichts ändern konnte. Man warf mich hinein und schloss den Käfig. Und irgendwann holte man mich wieder heraus. Den Grund dafür, dass man mich nicht einfach in dem Käfig verrecken ließ, konnte ich damals nur raten. Vielleicht war das für Fluchtversuche vorgesehene Strafmaß abgelaufen. Vielleicht grauste es den alten Mann vor meinem wuchernden Arm. Viel eher wohl hatte meine Befreiung aus dem Käfig mit Ereignissen in der Strafanstalt zu tun. Man wollte seine Häftlinge beisammen haben in diesen Tagen.
    Es kamen also zwei uniformierte Wärter in meinen Keller in B egleitung zweier grobschlächtiger Männer in Arbeitskleidung. Sie sahen aus wie Bauarbeiter, hätten auch auf eine Ölbohrplattform oder auf einen Fischkutter gepasst. Während die Wärter sich angewidert abwanden, grauste es sie nicht im mindesten vor der nackten, verschmutzten, filzhaarigen, wuchernden, verblödet glotzenden Trauergestalt, die mal der smarte Frank Fercher gewesen war, ein wohlriechender, immer gepflegter Millionenerbe. Sie öffneten die drei Vorhängeschlösser, klappten die Seitenwand des Gitters herunter und zerrten mich heraus. Mit den gleichen teilnahmslosen Gesichtern hätten sich auch einen Gully auspumpen können.
    Natü rlich standen meine Beine nicht mehr, die Männer versuchten es gar nicht erst. Wie man einen schlaffen Sack anpacken würde, so schleppten sie mich aus dem Keller. Einer hielt mich unter den Armen, der andere unter den Kniekehlen. Die Wärter strebten vorneweg, fluchtartig. Ein paar Kellertreppen ging es hoch, dann waren wir auch schon im Freien. An einem meterhohen Stahlgitterzaun entlang wurde ich getragen, Stacheldraht-Rollen sah ich über mir. Meine Augen hingen am Himmel. Meine gestankverstopfte Nase

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