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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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durch diese Luke!
    Hoffnung lässt sich sehr weit herholen: Frau Doktor Mondg esicht kommt mit einem Tablett mit Sälbchen und Pülverchen und Spritzchen daher, das Experiment beginnt - deshalb dann wohl die Lederriemen, und nicht etwa, weil meine nächtlichen Aktivitäten erraten worden wären. Behutsam nimmt sie den Riemen um mein geschundenes Handgelenk ab, verlagert ihn um meine Hand und schneidet mir den Verband vom Arm.
    Schwärzlichgrau, sti nkend, schuppend und wuchernd präsentiert sich ihr das Experimentierfeld. Sie studiert lange, was sich da an offenbarem medizinischem Neuland vor ihr abspielt und zeichnet dann eine Art Landkarte, eine Skizze meiner Wucherung, wie sie von der Ausgangsstelle des Bisses her sich wellenförmig in Kreisen verbreitet. Mit ruhiger Hand und mitleidlosem Blick stäubt sie einen Hauch eines weißen Pulvers an eine bestimmte Stelle des Aussatzes und kartiert das Versuchsfeld. Ich horche in mich hinein auf eine Wirkung. Sie pipettiert ein paar Tröpfchen hellgelber Flüssigkeit an eine andere Stelle, vermerkt es.
    Die Wirkung setzt sofort ein, es brennt wie ätzende Säure in e iner offenen Wunde. Sie greift zu einer Spritze und setzt mir eine halbe Dosis unter das, was mal Haut im Zentrum der Zahnreihen des Bisses war.
    Das Brennen steigert sich ins Unbeschreibl iche, mein Arm steht in hellen Flammen, ich werfe mich mit aller Kraft unter Zuckungen in die Riemen, aber das Experimentierfeld ist derart festgezurrt, dass Frau Doktor Mondgesicht nicht beeinträchtigt wird. Auf einem Extraprotokoll vermerkt sie meine Reaktionen, untersucht meine Schweißausbrüche, leuchtet mir mit einem Stäbchen von Taschenlampe in die Augen und fühlt meinen Puls. Ich schreie und fluche und schwitze, werfe den Kopf hin und her und entsinne mich nicht, bis zum Ende des Experimentes zugegen gewesen zu sein.
     
    In den trüben Momenten der folgenden Tage habe ich Visionen von Tod und Heilung. Mal fressen sich Sälbchen und Pülverchen und Säuren unter meiner Haut hindurch hinauf zu meinem Herz und lösen es auf, mal fressen sie die Wucherung und bringen neue Haut hervor.
    In den wachen, klaren Momenten klammere ich mich an ein absicht sloses Hoffen: Das alles wird irgendwann vorbei, ich werde wieder frei sein, und dann geht es mir so gut wie nie zuvor. Je länger dieses Hoffen wider alle Hoffnungslosigkeit anhält, desto näher kommt man dem Bewusstsein eines Tieres, nach Lösungen ringend um jeden Preis, bis die Störung des gewohnten Befindens beseitigt sein wird. Mit menschlicher Hoffnung hat das nichts zu tun, denn ein Tier weiß nichts um die Zukunft, es bringt nur ein beständiges Wollen auf, das darauf abzielt, den Schmerz abzustellen, und dieses Wollen kann niemals aufhören, weil das Tier nicht weiß, dass sein Bestreben von vornherein vergebens sein kann. Dieser nackte, ahnungslose Überlebensinstinkt hat kurioserweise etwas Paradiesisches.
     
    Die Saat ging auf. Das Feld war gut bestellt, Frau Doktor Mondgesicht hatte reich gesät. Die quietschende Gummischuh-Schwester fütterte mich mit allem, was mir hätte Kraft geben müssen, um eine reiche Ernte an Heilung hervorzubringen, mit Salaten und Obst, mit Gemüse und dem besten Fleisch, mit allem, was die Meere hergaben, man sparte auch nicht an Lachs und Kaviar. Aber meine Lebenskraft zog sich zurück. Ich behielt das Essen nicht bei mir, bald konnte ich nichts mehr zu mir nehmen. Eine Infusionsnadel wurde in meinen linken Handrücken gestochen und verpflastert. Ich konnte nun Tropfen zählen zum Zeitvertreib: wie sie in mich flossen zur Linken, während rechts die Wucherung aufsprang und wilde Blutungen vom bestellten Felde auf das weiße Laken rannen und statt eines Gartens Eden eine brodelnde Höllenlandschaft aus meinen Geweben hervortrat.
    Ich erinnere aus dieser Zeit, mochten es Tage oder Wochen gew esen sein, in meinem Fieber-Schmerz-Trauma nur Schlaglichter, erinnere die Szene, wie mir die Riemen abgenommen werden, sehe wechselnde Ärztegruppen an meinem Arm herumstreiten, spüre an frischer Kälte in meinem Blut, wie gelegentlich die Infusionsflasche gewechselt wird, weiß noch, wie ich in meinem Bett auf den Gang hinausgeschoben werde. Ein gekachelter Saal. Schwärze, tiefer als jede Ohnmacht.
    Dann ein fremder kalter Raum, nur ein dü nnes Laken über meinem nackten Körper, ich bin ausgekühlt von den Zehen bis zu den Haarspitzen und zittere, dass es wehtut. Mein Arm fühlt sich so dünn und rein an, meine Heilkraft ist wieder

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