Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
mich, am liebsten hätte ich aufgejauchzt. Sie luden meinen Körper auf eine schmale Rollpritsche und legten mir die Arme auf dem Bauch übereinander, was höllisch weh tat und mir wegzustecken einiges abverlangte.
Aus dem Zimmer ging es, durch Gänge mit abblätternder Wandfa rbe, ein Rad des Rollwagens eierte ein wenig und machte mir Übelkeit. Zwei Stockwerke hinab in einem schabenden Aufzug, ich sah die Anzeige durch einen Spalt meiner Augenlider, wir waren nun im ersten Kellergeschoss. Kalt stand hier überall der Desinfektionsmittelgeruch des OP-Bereichs in der Luft. In einem blassgrün gekachelten Vorbereitungsraum wurde ich abgestellt.
Die Pfleger gi ngen, sie begegneten in der Tür einer Schwester mit einem metallenen Rollwägelchen und einem fahrbaren Ständer mit einer baumelnden Infusionsflasche. Sie stellte beides neben mir ab und klappte an meiner Pritsche zwei Ablageflächen aus, auf die sie meine Arme bettete. Sorgfältig desinfizierte die junge Frau meine linke Ellenbeuge, was mich rührte, denn ich nahm es so auf, dass es in dieser verbrecherischen Versuchsanstalt auch Mitarbeiter gab, die ihren Auftrag mit Menschlichkeit erfüllten – genausogut konnte es natürlich sein, dass sie nur ihre Aufgabe ernst nahm, das Versuchsobjekt möglichst pfleglich zu behandeln und für weitere Experimente zu erhalten. Kalt und hart drang die Nadel mit dem Infusionsschlauch in meine Vene. Damit hatte auch diese Schwester ihre Aufgabe erfüllt und verließ den Raum. Jetzt kam es darauf an!
Neben mir auf dem Rollwägelchen lagen zwei Spritzen. Ich vermut ete, dass eine davon oder beide das Narkosemittel enthalten mussten. Wie an einen alten, zerflossenen Traum erinnerte ich mich daran, dass vor der ersten Operation der Infusionsschlauch an der Nährlösungsflasche abgenommen und über ihn ein Mittel in mich eingespritzt worden war, das mir innerhalb von Sekunden mein letztes bisschen Bewusstsein geraubt hatte.
Nun war mein linker Arm frei, aber er hing an der Infusion. Vo rsichtig, aber doch mit der gebotenen Schnelligkeit fasste ich über mich, denn das Rollwägelchen stand zu meiner Rechten, musste den Infusionsständer einen halben Meter zu mir heranziehen, um hinzulangen, und nahm auf Verdacht eine der Spritzen. Wohin nun damit? Auf den Boden? Ich entschied mich für die Wand. Mit einem kurzen, festen Daumendruck entleerte ich die Spritze halb, die durchsichtige Flüssigkeit prasselte in feinem Strahl gegen die blassgrünen Kacheln. Ich legte die Spritze wieder ab, nahm die zweite und entleerte auch sie halb. Nun konnte ich nur noch hoffen, dass die Wirkung der Narkose noch tief genug sein würde, mich die Schmerzen der Operation nicht miterleben zu lassen, aber kurz genug, um rechtzeitig zu erwachen.
Dass etwas bemerkt werden könnte, damit hatte ich nicht gerec hnet. Der Anästhesist aber, nachdem er einen Blick auf mein Krankenblatt geworfen hatte, prüfte die Spritzen sorgfältig, sah mich lange misstrauisch an, ließ den Blick über den Boden wandern, zitierte die Schwester herbei. Ich erlebte die Szene durch flackernde Lider: Er diskutierte mit ihr herum, zeigte auf die Spritzen, sie verteidigte sich. Er winkte schließlich ab, sagte etwas, das nur „Scheiß drauf!“ heißen konnte, und rief einen Pfleger, der mich zusammen mit der Schwester zum Operationssaal schob. Das letzte, was ich sah, war die bekannte, korrekt vorweggenommene Szene: Schlauch wird abgenommen, Spritze wird in Schlauch entleert, 21, 22, 23, verdammt, 24, 25, 26, herrje, 27 ... 27 ...
Ich bin so unendlich müde. Trotz allem, denke ich, ein verflucht starkes Mittel. Oder habe ich da doch ganz andere Spritzen entleert? Mit Gewalt öffne ich die Augen. Hellgrüne Kacheln. Sofort zieht es mir die Augen wieder zu. Zittern setzt ein, bis ins Innerste meines Körpers bin ich durchfroren. Ein Gedankenblitz wie ein Alptraum von Zerstückelung: Ich bin doch nicht ganz, mein Körper ist zerteilt und getrennt worden, wo ist der Rest von mir? Dann bin ich wieder weg.
Ich muss pinkeln, will schon aufstehen, aber weiß auch, dass ich hier nicht zu Hause in meinem Bett liege und mein gewohntes Bad ezimmer nebenan habe. Es gibt Schlimmeres als nicht pinkeln zu können. Fliehen zu müssen zum Beispiel, aber keine Kraft zu haben zum Aufstehen. Ich sauge nach Luft, schmecke Sterilisationsmittel, reiße mit Gewalt die Augen auf. Ich darf nicht gefesselt sein, denke ich, lasse den Kopf nach links sinken, sehe an meinem Arm entlang, sehe einen
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